2: Neue Nachtzüge und eine neue Regierung

Ein Rückblick auf den Fahrplanwechsel, ein Ausblick auf kommende Bahn-Projekte und ein neuer Verkehrsminister für Deutschland. Die zweite Ausgabe der Zugpost.

2: Neue Nachtzüge und eine neue Regierung
Foto: ÖBB / Knopp

Hallo Zugfans 👋

Willkommen zur zweiten regulären Zugpost! Die heutige Ausgabe steht ganz im Zeichen des Fahrplanwechsels vom vergangenen Sonntag. Vor allem in Sachen Nachtzug gab es einige erfreuliche Neuerungen. Aber auch politisch hat sich in den letzten Wochen einiges getan. Wohin steuert die neue deutsche Regierung beim Thema Verkehr? Und was ist dran am neuen Bahn-Aktionsplan der EU?

Doch bevor es losgeht, noch ein ganz persönlicher Blick zurück: Die erste Zugpost war ein voller Erfolg. Euer Feedback war durchweg positiv und mich haben viele Vorschläge für spannende Themen erreicht. Ganz lieben Dank dafür. Und auch über den steten Zuwachs an Abonnent:innen freue ich mich sehr – ihr seid mittlerweile 634, wow!

Euch und euren Lieben wünsche ich ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in ein hoffentlich tolles Eisenbahnjahr 2022.

Viel Spaß beim Lesen wünscht

Sebastian


Europa begrüßt neue Nachtzug-Verbindungen

Für Nachtzug-Fans gab es zum Fahrplanwechsel einiges zu feiern. Am Montagabend wurde in Wien der erste Nightjet nach Paris auf die Reise geschickt. Und das mit einigem Tamtam, Livestream inklusive. Vor Ort waren Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sowie der französische Verkehrsminister Jean-Baptiste Djebbari. Was sie bejubelten war nichts weniger der erste ÖBB-Nachtzug nach Frankreich seit 15 Jahren. Er verkehrt künftig dreimal in der Woche über München und Straßburg.

Bereits einen Tag zuvor fiel der Startschuss für einen weiteren neuen Nightjet von Zürich nach Amsterdam. Erstmals seit 2009 ist hier die Schweizer SBB wieder federführend an einem Nachtzug beteiligt. Das Besondere: Aufgrund des allgegenwärtigen Mangels an Rollmaterial verkehrt der Nightjet Zürich–Amsterdam vorerst mit gemieteten Schlaf- und Liegewagen des Anbieters RDC Deutschland. Er fährt täglich über Basel, Freiburg, Köln, Duisburg, Arnhem und Utrecht.

Und noch einen neuen Nachtzug gab es in Frankreich zu begrüßen. Die SNCF schickt seit Fahrplanwechsel montags bis freitags einen Intercités de nuit von Paris nach Lourdes über Tarbes auf die Reise. Im Sommer 2022 soll die Verbindung sogar bis Hendaye an der Grenze zu Spanien verlängert werden. Auf der neuen Nachtzugstrecke in die Pyrenäen kommen die renovierten Liegewagen der französischen Bahn zum Einsatz.


Ein neuer Verkehrsminister für Deutschland

Deutschland hat eine neue Regierung. Aus verkehrspolitischer Sicht endeten die Verhandlungen zur so genannten Ampelkoalition mit einer faustdicken Überraschung: In letzter Minute ließen sich die Grünen noch das sicher geglaubte Verkehrsministerium abjagen. Dieses ging – ausgerechnet, möchte man sagen – an die FDP, die Volker Wissing als neuen Minister präsentierte.

Volker wer? Das fragte sich auch der Berliner Tagesspiegel und brachte ein Portrait des Politikers aus Rheinland Pfalz. Tenor: In einer Partei, die mit öffentlichem Verkehr eher fremdelt, gehöre er zu Aufgeschlosseneren. So steige der Anwalt, Weinkenner und passionierte Organist in Berlin sogar lieber in die U-Bahn als den Dienstwagen. Alles gut also? Nun, wenig später ließ sich Wissing ohne Not als „Anwalt der Autofahrer“ zitieren. Eine Aussage, die selbst innerhalb der Partei für Kritik sorgte, aber nicht mehr einzuholen war.

Kaum im Amt, ließ Wissing dann sein Ministerium erst einmal umbenennen: aus „Verkehr und Digitales“ wird „Digitales und Verkehr“. Digital ist besser? Die Prioritäten scheinen jedenfalls klar. Aufhorchen ließ auch ein Tweet der FDP-Bundestagsfraktion mit ihrer „Top 10 aus dem Bereich Verkehr und Digitales“. Neben der Top-Priorität „kein Tempolimit“ ist von Verbrenner, Wettbewerb und Flugverkehr die Rede. Was es hingen nicht in die Liste geschafft hat: die Eisenbahn.

Schade, nächstes Mal dann vielleicht.

In Sachen Verkehr steht die Ampel also auf Gelb – freie Fahrt für freie Bürger, auf der echten wie auf der Datenautobahn. Für die Hoffnung, dass mit dieser FDP Verkehrswende zu machen ist, braucht man hingegen schon ein optimistisches Gemüt. Für Kritiker dürfte es damit auch nach dem quälenden CSU-Jahrzehnt im Verkehrsministerium nicht langweilig werden.


Niederlande: „Lelylijn“ nach Groningen kommt

Auch in den Niederlanden materialisiert sich eine neue Regierung. Und die hat gute Nachrichten für die Eisenbahn im Gepäck: Das neue Kabinett plant 3 Milliarden Euro in die „Lelylijn“ zu investieren, eine Neubaustrecke von Lelystad im Großraum Amsterdam nach Groningen. Die neue Bahnlinie soll Geschwindigkeiten von mindestens 200 km/h erlauben und über Emmeloord, Heerenveen und Drachten verlaufen.

Aus niederländischer Sicht dient das Projekt vor allem einer besseren Anbindung der Region Friesland. Aus europäischer Perspektive gibt es aber noch eine weitaus größere Dimension: Die Lelylijn wäre ein wichtiger Baustein zur Schaffung eines leistungsfähigen Eisenbahnkorridors Amsterdam–Hamburg–Skandinavien. Flaschenhals ist derzeit vor allem der grenzüberschreitende Verkehr nach Deutschland.

Das Problem: Seit die Friesenbrücke bei Weener im Dezember 2015 durch einen Frachter zerstört wurde, ist der Schienenweg zwischen Groningen und Leer unterbrochen. Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran und dauert noch mindestens bis 2024. Außerdem ist die Strecke nicht elektrifiziert und eingleisig, letzteres gilt auch für den weiteren Verlauf bis Oldenburg. Im Februar 2019 haben sich Niedersachsen und Bremen sowie die Provinz Groningen im Rahmen des Projekts Wunderline auf einen Ausbau geeinigt. Langfristiges Ziel sind durchgehende Fernzüge zwischen Groningen und Bremen mit einer Fahrzeit von zwei Stunden.


Wieder mehr Grenzverkehr im hohen Norden

Nachdem Corona den internationalen Zugverkehr in Nordeuropa fast vollständig zum Erliegen gebracht hatte, feierte die Direktverbindung von Stockholm nach Oslo zum Fahrplanwechsel ihr Comeback. Die zwei täglichen Intercity-Zugpaare legen die Strecke in 5,5 bis 6 Stunden zurück. Die Premiere am Sonntag verlief allerdings nicht ohne Probleme: Wegen eines außergewöhnlich hohen Krankenstandes bei der SJ fiel der erste Zug direkt aus. In schwedischen Zügen herrscht weiterhin lediglich eine Maskenempfehlung, der von den Reisenden kaum nachgekommen wird.

Sein Comeback feierte am Sonntag auch der Schnellzug Allegro zwischen Helsinki und Sankt Petersburg. Die erste Abfahrt am Sankt Petersburger Bahnhof Finljandski wurde feierlich von einem Orchester begleitet. Was hingegen weitgehend fehlte waren die Reisenden. Eine Mitfahrt im Allegro ist derzeit nur für finnische und russische Staatsbürger möglich, es herrscht zudem ein strenges Hygienekonzept mit Testpflicht. Bis auf Weiteres gibt es zwei Zugpaare täglich, die Fahrt dauert 3,5 Stunden.

Eine weitere Lücke im hohen Norden könnte Ende 2024 geschlossen werden. Bis dann soll die Bahnstrecke Haparanda–Tornio-Laurila, die einzige Schienenverbindung zwischen Schweden und Finnland, elektrifiziert werden. Zwischen den Grenzstädten Haparanda und Tornio liegt ein so genanntes Vierschienengleis, das sowohl mit schwedischer Normalspur als auch mit finnischer Breitspur befahren werden kann. Finnische Züge könnten in Zukunft also bereits am erst im März dieses Jahres wiedereröffneten Bahnhof Haparanda beginnen.


Neue Nachtzug-Wagen für Italien und Frankreich

Die italienische Trenitalia beschafft 70 neue Wagen für ihre Nachtzüge nach Sizilien. Italiens Vekehrsminister Enrico Giovannini bestätigte eine entsprechende Investition in Höhe von 200 Millionen Euro. Die Wagen sollen bis 2026 in Betrieb gehen und auf den Strecken von Mailand und Rom nach Syrakus und Palermo eingesetzt werden. Die Nachtzüge in den strukturschwachen Süden werden seit jeher von der italienischen Regierung unterstützt.

Auch Frankreich plant in neue Wagen für seine Intercités de nuit zu investieren, wie Verkehrsminister Jean-Baptiste Djebbari ankündigte. Konkret geht es um 300 Wagen und 30 Lokomotiven, die bis 2030 für mindestens 800 Millionen Euro beschafft werden sollen, darunter auch die lang ersehnten Schlafwagen. „Die Reisenden wollen komfortable Nachtzüge, und das ist normal. Schlafwagen werden darum zurückkehren und die Liege- und Sitzwagen ergänzen“ so Djebbari.

Doch ist es überhaupt sinnvoll, dass jedes Land sein eigenes Süppchen kocht? Sollten stattdessen nicht lieber die Kräfte gebündelt und Schlaf- und Liegewagen auf europäischer Ebene beschafft werden? Diese Meinung vertritt Jon Worth, Gründer der Kampagne „Train for Europe“, und bringt sie in seinem Blogartikel zu Frankreichs Nachtzug-Plänen auf den Punkt.


Neuer Aktionsplan: EU will Zugverkehr stärken

Wer Eisenbahn international denkt, landet ziemlich schnell bei der Europäischen Union. Nachdem das zu Ende gehende „European Year of Rail“ vor allem durch Marketingaktionen wie den Connecting Europe Express aufgefallen war, hat die EU nun einen Aktionsplan zur Stärkung des europäischen Bahnverkehrs vorgelegt.

Dass einiges im Argen liegt, ist nun auch in Brüssel angekommen. „Die Bahn ist einer der nachhaltigsten Verkehrsträger, den wir haben. Und doch droht dieses Potenzial ungenutzt zu bleiben – grenzüberschreitende Fahrten machen nur 7 Prozent der mit der Bahn zurückgelegten Kilometer aus“, sagt Adina Vălean, EU-Kommissarin für Verkehr. Detailliert dargelegt werden die Probleme in einer knapp 500-seitigen Studie, die im Oktober veröffentlicht worden war.

Was also tun? Die Kommission schlägt ein Bündel von Maßnahmen vor. So soll die Geschwindigkeit auf TEN-Strecken einheitlich auf mindestens 160 km/h steigen. Tickets im grenzüberschreitenden Verkehr sollen einfacher buchbar und billiger werden, attraktive Angebote z.B. im Rahmen des Erasmus-Programms junge Leute in die Züge locken. Zudem sollen überflüssige technische und betriebliche Vorschriften abgeschafft werden. Mehr zu den Maßnahmen und weitere Hintergründe zum Aktionsplan gibt es in diesem „Fragen und Antworten“-Bereich auf der EU-Website.

Von Organisationen wie Greenpeace und Germanwatch wurde der Aktionsplan positiv aufgenommen. Um die Maßnahmen zu testen, wird die Kommission bis 2030 den Start von mindestens 15 grenzüberschreitenden Pilotprojekten unterstützen.


Kurzstrecke

Updates, News und Fundstücke – alles, was sich sonst noch im letzten Monat auf und neben Europas Gleisen getan hat.

Schneller von Zürich nach München

Seit dem Fahrplanwechsel ist der Eurocity von Zürich nach München 30 Minuten schneller unterwegs, jedenfalls bei drei der sechs täglichen Verbindungen. Ab Frühjahr 2022 sollen dann alle EC-Züge die Strecke statt in vier in drei Stunden und 30 Minuten zurücklegen.

Spatenstich für Fehmarnbelt-Tunnel

Auf Fehmarn erfolgte am 29. November der erste Spatenstich für den Fehmarnbelt-Tunnel, der ab Ende des Jahrzehnts Deutschland mit Dänemark verbinden soll. Der Tunnel ist Teil der so genannten festen Fehmarnbeltquerung, die den Zugverkehr zwischen Mitteleuropa und Skandinavien erheblich beschleunigen wird.

Rail Baltica macht Fortschritte

Im November wurde die bisher größte Ausschreibung für den Bau der Rail Baltica in Lettland veröffentlicht. Das Paket umfasst den Neubau von über 200 Kilometern Eisenbahnstrecke sowie weitere Infrastrukturarbeiten außerhalb der Hautstadt Riga. Das Projekt Rail Baltica dient der Errichtung einer insgesamt 970 Kilometer langen normalspurigen Schienenverbindung von Warschau über Kaunas und Riga nach Tallinn.

Nachtzug Oslo–Kopenhagen in der Pipeline?

Norwegens Verkehrsministerium denkt über einen Nachtzug von Oslo nach Kopenhagen nach. Die staatliche Eisenbahndirektion soll nun bis zum 20. Mai 2022 einen Bericht zur Marktlage erstellen. Derzeit gibt es keine direkte Zugverbindung zwischen Norwegen und Dänemark.

Snälltåget wird verkauft

Transdev Schweden plant seine Tochter Snälltåget zu verkaufen und sich stattdessen auf ausgeschriebene Verkehre fokussieren. Snälltåget ist derzeit ganzjährig zwischen Stockholm und Malmö unterwegs sowie saisonal mit Nachtzügen von Stockholm nach Åre und Berlin.

Investigate Europe über Probleme im Bahnverkehr

In der Artikelserie „Entgleist“ berichtet der Rechercheverbund Investigate Europe über Missstände im europäischen Bahnverkehr. Unter anderem geht es um Probleme beim Ticketverkauf, Hürden für Nachtzüge sowie mangelnde Förderung des grenzüberschreitenden Zugverkehrs durch die EU-Staaten.