45: Ein Flickenteppich namens Europa
Was die Eisenbahn betrifft, driftet Europa immer weiter auseinander. Dabei sollte es eigentlich umgekehrt sein. Immerhin: Ein Fünkchen Hoffnung kommt von der EU.
Hallo Zugfans 👋
Eine Fahrkarte nach Schweden zu kaufen, sagen wir von Bremen nach Stockholm, ging bislang so: Man gab seine Reisedaten auf der Website der Deutschen Bahn ein, wählte die passende Verbindung aus und kaufte das Ticket – in der Regel zu einem fairen Preis und inklusive der notwendigen Reservierungen in Schweden.
Seit einigen Wochen sieht das jedoch anders aus.
Bei der Suche nach Zugverbindungen nach Schweden wird in den meisten Fällen die berüchtigte Meldung „Preisauskunft nicht möglich“ angezeigt. Der Grund: Die schwedische Bahn ist auf ein neues Buchungssystem umgestiegen, das mit dem System der DB nicht mehr kompatibel ist.
Tickets können nun nur noch bis Malmö verkauft werden – also gerade eben über die Grenze – oder für bestimmte Strecken mit dem regionalen Öresundståg. Verbindungen, die einen Fernzug der SJ enthalten, etwa die X2000-Schnellzüge nach Stockholm, sind nicht mehr buchbar. Wer in Schwedens Hauptstadt oder weiter reisen möchte, muss zwei Tickets bei verschiedenen Anbietern kaufen. Das ist nicht nur umständlich, sondern in praktisch allen Fällen auch teurer.
Wer daran Schuld ist, die schwedische Bahn oder die deutsche, ist am Ende egal. Entscheidend ist: Niemand hat sich die Mühe gemacht, eine Lösung für das Problem zu finden oder das Problem überhaupt erst erkannt. Ausbaden dürfen es am Ende wieder die Reisenden. Also wir.
Das ist kein Einzelfall, sondern ein genereller Trend. Im Jahr 2020 verschwand das attraktive London Spezial der Deutschen Bahn, seitdem müssen Reisende durch den Eurotunnel mit einer Hilfskonstruktion und eingeschränkten Fahrgastrechten zurechtkommen. Die französische SNCF zog sich in diesem Frühjahr gleich fast komplett aus dem internationalen Ticketverkauf zurück.
Überhaupt, Frankreich. Mit den spanischen Nachbarn gibt es einen Eisenbahnkrieg, der immer groteskere Züge annimmt. Und auch mit der italienischen Bahn ist man sich nicht grün; hier fährt man an der Grenze lieber inkognito nebeneinander her und weigert sich, Fahrkarten des jeweils anderen zu verkaufen. Die Italiener selbst bekommen es unterdessen nicht auf die Reihe, mit den ÖBB angemessene Baustellenfahrpläne und Umleitungen abzustimmen, so dass die Nightjets nach Italien wiederholt monatelang ausfallen (siehe Kurzstrecke unten). Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Es ist schon merkwürdig: Während Europa in anderen Bereichen weiter zusammenwächst, scheint sich der Bahnverkehr wieder in seine Einzelteile aufzulösen. Und während jeder Toaster mit immer mehr Features und Optionen aufwartet, schrumpfen die Angebote auf Bahn-Websites stetig.
Immerhin, ein Fünkchen Hoffnung kommt aus der EU. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihrem designierten Kommissar für Verkehr, Apostolos Tzitzikostas, Folgendes ins Pflichtenheft geschrieben:
„Sie werden einen Vorschlag für eine Verordnung über die einheitliche digitale Buchung und Ausstellung von Fahrscheinen ausarbeiten, um sicherzustellen, dass Reisende in Europa einen einzigen Fahrschein auf einer einzigen Plattform kaufen und während ihrer gesamten Reise von Fahrgastrechten profitieren können.“
(Übersetzung durch mich.)
Tzitzikostas antwortete, dass er beabsichtige, dies bis Ende 2025 umzusetzen. Wie genau, ließ er vorerst offen. Erste Antworten können für die Anhörung der neuen EU-Kommission am 4. November erwartet werden. Mehr dazu erfahrt ihr in diesem Text von Jon Worth, der das Ganze ohnehin viel besser erklären kann als ich.
Es ist höchste Zeit, dass etwas passiert. Bevor Europas Eisenbahn vollends zum Flickenteppich wird.
Mehr über den neuesten Trouble mit den Nightjets nach Italien lest ihr in der Kurzstrecke. Außerdem im Mitgliederbereich: ein bunter Schienenmoment aus Belgien.
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Eigentlich wollte ich euch letzte Woche von einem Sehnsuchtsort in den französischen Bergen erzählen, aber meine Gesundheit hat mir leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Geschichte wird nachgeholt, sobald ich wieder fit genug für längere Texte bin.🤞
Vor ein paar Wochen habe ich mich mit einem Journalisten der Deutschen Welle über Nachtzüge unterhalten. Natürlich kam auch die übliche Frage nach meinem schlimmsten Nachtzug-Erlebnis auf. Mir fällt dann nie etwas ein – entweder habe ich meistens Glück oder bin einfach Meister im Verdrängen. Den Artikel mit meinen Zitaten könnt ihr jedenfalls nun online lesen.
Habt eine schöne Restwoche!
– Sebastian