Hallo Zugfans 👋

Geht es dem Speisewagen an den Kragen? Diesen Eindruck könnte man bekommen, wenn man dieser Tage die Zeitung aufschlägt. „Abschied vom Knödelexpress“, heißt es da. Oder es ist vom „langsamen Ende der Kneipe auf Rädern“ die Rede.

Gemeint ist der Speisewagen der tschechischen Bahn, der demnächst aus dem Eurocity zwischen Hamburg, Berlin und Prag verschwinden soll. Zur Fahrt durchs malerische Elbtal gibt es dann nur noch Mikrowellenkost. Auch die „Zeit“ ist noch einmal mitgefahren und setzt dem wohl berühmtesten Gasthaus auf Gleisen und seinen kultigen Kellnern ein opulentes Denkmal.

Florian Gasser stimmt in seiner Kolumne gleich den Abgesang auf den Speisewagen überhaupt an. Als Idee, als Teil der Reisekultur. Ein schöner, wie trauriger Text. Auch ein Bahnmanager kommt darin zu Wort:

„Sie können es drehen und wenden wie Sie wollen: Speisewagen sind kein Business“

Ein Stich ins Herz. Aber stimmt das eigentlich?

Sicher, betrachtet man den Speisewagen isoliert, ist er keine Goldgrube. Der Personaleinsatz ist hoch, die Logistik aufwendig, und man opfert Platz, den man teuer an Reisende verkaufen könnte.

Wendet man diese Logik konsequent an, muss man sich jedoch auch Sorgen um die Zugtoilette machen. Dort lässt sich zwar so manches Geschäft erledigen, viel Gewinn wird dabei vermutlich aber nicht abgeworfen. Zum Glück aber ist noch niemand auf die Idee gekommen, das Klo abzuschaffen, denn es gehört nun mal dazu, es ist Teil des Gesamtsystems.

Okay, der Vergleich hinkt vielleicht etwas, aber hier ist mein Punkt: Ein Speisewagen gehört eben auch dazu, jedenfalls zu einem richtigen Zug, einem Zug von Format. Das sahen die Schaffer der Zuggattung Eurocity einst genauso – und machten einen Speisewagen zur Bedingung. Diese Regel ist zwar inzwischen längst aufgeweicht, aber noch halten sich gute Eisenbahnen daran.

Bierglas und Lampe im tschechischen Speisewagen, vor dem Fenster die Elbe
Habt ihr das schon mal im Flugzeug erlebt? Foto: Tokosuke Uhi

Speisewagen mögen auf eigenen Beinen nicht einträglich sein, aber als Teil eines größeren Ganzen machen sie Züge und die Eisenbahn stärker und attraktiver. Genau diese Dinge sind es doch – Speisewagen, Nachtzüge, plüschige Abteile –, die im Einmaleins von Excel nicht lukrativ erscheinen, aber eine Zugreise in ein Erlebnis verwandeln. Und Fahrgäste in Fans. Florian Gasser schreibt:

„Sind Sie schon einmal an einem Sonntag mit dem Zug von Wien aus hinauf auf den Semmering gefahren und haben auf dem Weg dorthin gefrühstückt? Wenn nicht, haben Sie etwas verpasst. Übrigens: Für die gute Aussicht bitte in Fahrtrichtung links sitzen.“

Eine solche Liebeserklärung habe ich an einen Sitz im Großraumabteil, dessen Position womöglich nicht mal zum Abstand der Fenster passt, noch nicht gelesen.

Ob Frühstücken am Semmering oder Anstoßen mit Blick auf die Elbe: Wer so etwas erlebt, kommt wahrscheinlich wieder. Und wird bei der nächsten Verspätung vielleicht sogar etwas nachsichtiger sein als jemand, dem nur das absolute Minimum geboten wird. Was bleibt denn noch, wenn der letzte Speisewagen von einem Automaten ersetzt wurde und das letzte Abteil weichen musste, um noch ein paar zusätzliche Sitze in den Zug zu quetschen?

Ein sehr langsames Flugzeug. Oder ein sehr teurer Fernbus.

Das kann doch nicht Anspruch der Eisenbahn sein. Ich wünsche mir eine selbstbewusste Eisenbahn. Eine, die sich ihrer Stärken bewusst ist. Die sich nicht klein macht. Sich nicht nur an kurzfristigen Trends orientiert.

Nein, ich bleibe dabei: Wer die Seele der Eisenbahn verkauft – oder, um es in der Sprache der Manager zu sagen, ihren Unique Selling Point – wird auf lange Sicht kein gutes Geschäft machen.


Was die Eisenbahn ausmacht, zeigt sich eindrucksvoll in den Zugfotos von Tokosuke Uhi auf Instagram, die ich schon lange bewundere. Besonders freue ich mich, zwei der großartigen Speisewagen-Motive für die Zugpost verwenden zu dürfen. Übrigens: Diese und viele weitere Bilder sind auch als Postkarte erhältlich.

Vielleicht erinnert ihr euch noch daran, was ich im letzten Newsletter zur Rail Baltica schrieb:

Und doch ist der Zugverkehr im Baltikum nicht ohne Hoffnung. Die Eisenbahnen in Estland, Lettland und Litauen scheinen allmählich zu erkennen, dass auch ohne die Rail Baltica einiges möglich ist. An Gleisen, Zügen und Personal mangelt es schließlich nicht.

Dass es nun so schnell geht, hätte ich nicht gedacht: Diese Woche wurde bekannt, dass die drei Bahnen eine neue durchgehende Verbindung von Vilnius über Riga nach Tallinn einrichten – und das schon zum Jahreswechsel!

Mehr über dieses kleine Bahnwunder lest ihr in der Kurzstrecke. Außerdem im Mitgliederbereich: Ein besonderer Schienenmoment von Ostseeküste.

Habt weiterhin eine schöne Adventszeit!

– Sebastian


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