Hallo Zugfans 👋
Als ich klein war, hatte ich ein Kinderlexikon. Das Wort „Optimist“ war darin wie folgt bebildert: Ein Mann fährt mit dem Auto gegen einen Baum. Doch anstatt sich zu ärgern, streckt er die Hand durchs Fenster und pflückt sich einen Apfel. Und lächelt dabei auch noch! Resilienz würde man das wohl heute nennen.
Ich selbst würde mich nicht als ausgesprochenen Optimisten bezeichnen. Und doch versuche ich mir in Situationen, die ich nicht ändern kann, den Apfelfreund zum Vorbild zu nehmen. Der Sommer ist vorbei? Klar, ich könnte mich jetzt schrecklich aufregen, aber ich fürchte, das wird den Lauf unseres Planeten nicht beeinflussen. Also schnüre ich lieber die Wanderschuhe und freue mich über die bunten Herbstfarben und die klare Luft, die meine Lungen durchströmt.

Das gilt auch für das Zugreisen. Einmal strandete ich mit dem Nachtzug in Schweden. Ein Lokschaden, statt ins verschneite Fjäll hatten wir es nur in ein Kaff hinter Stockholm geschafft. Nach und nach stiegen meine Mitreisenden entnervt aus, organisierten sich Taxis und Mitfahrgelegenheiten. Ich blieb und kuschelte mich in meine Decke. Als nach acht Stunden tatsächlich eine Ersatzlok auftauchte, war ich der letzte, der noch nicht aufgegeben hatte. Es folgte eine der schönsten Zugfahrten meines Lebens, am offenen Fenster in meinem privaten Schlafwagen.
Wie kriege ich jetzt den Bogen zur Deutschen Bahn? Okay, vielleicht so: Die Bahn ist vor die Wand gefahren. Und zwar so richtig. Jedenfalls, wenn man den Medien Glauben schenken darf.
Ich schreibe euch diese Zeilen aus einem winzigen Nest in Mittelfinnland, wo ich mal wieder auf Nationalpark-Expedition bin. Weit weg vom deutschen Bahnchaos, könnte man meinen. Natürlich bin ich mit dem Zug angereist. Naja, so weit es eben geht, die letzten 60 Kilometer musste ich mit dem Rad fahren. Von einem dichten Schienennetz wie im Deutschland kann man hierzulande nur träumen.
In Tampere jedenfalls stieg ich um, und was musste ich da am Bahnhofskiosk sehen?

Wie heißt es so schön: Man kann um die ganze Welt ziehen, aber die Probleme von zu Hause nimmt man immer mit. Nicht nur bei der Zeit, auch beim Spiegel, der Süddeutschen Zeitung und vielen anderen mehr gehört der große Rundumschlag gegen die Deutsche Bahn zum Standardrepertoire.
Versagen, Versagen, Versagen. Ich kann es nicht mehr hören. Was will man mit diesem hysterischen Ton erreichen? Ach so, billige Likes und Klicks abfischen natürlich. Manch einer scheint den endgültigen Kollaps kaum erwarten zu können.
Hier ist der Punkt: Jeder hat verstanden, dass die Deutsche Bahn in der Krise steckt. Es immer und immer zu wiederholen, statt über Lösungen zu sprechen, stürzt uns in eine Negativitätsspirale, aus der man irgendwann nicht mehr herauskommt. Mit Untergangrhetorik spielt man am Ende nur den Falschen in die Karten.
Was bleibt uns als Fahrgästen denn übrig? Fliegen, ins Auto steigen? Jetzt werdet mal nicht komisch. Hier kommt mein Vorschlag: Wenn es mal wieder drunter und drüber geht, pflückt euch einen Apfel. Oder zumindest ein Getränk im Bordbistro. Und lächelt. Für die Menschen, die auf den Zügen arbeiten, ist es keine leichte Zeit. Sie können am wenigsten dafür, dass die Bahn über Jahrzehnte auf Verschleiß gefahren wurde.
Immerhin, Hoffnung gibt es, das musste auch die Zeit zugeben: In einer Generalsanierung werden in den kommenden Jahren 4000 Kilometer Gleis erneuert. Die Fahrzeugflotte wird immer jünger. Das Fernziel Deutschlandtakt verspricht paradiesische Zustände. Und ganz nebenbei ist die Pünktlichkeit im Flugverkehr auch nicht höher, sondern deutlich schlechter.
Ja, es wird ein bisschen dauern, bis es nachhaltig besser wird, da gibt es nichts zu beschönigen. Beißen wir also die Zähne zusammen. Und seien wir nett zu der Bahn, denn wir haben nur die eine.
Ihr braucht gute Nachrichten aus der Welt des Zugreisens? Okay, wie wäre es damit: Ab November wird es deutlich einfacher, mit dem Zug von Budapest nach Belgrad zu fahren. Und die EU verschenkt wieder Interrail-Pässe an junge Erwachsene – noch bis Mittwoch könnt ihr euch bewerben.
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Ein bisschen Zugliebe verbreiten durfte ich in der taz. In der Serie „Nachtzugkritik“ erschien ein kurzer Bericht von mir über die legendäre Fahrt mit dem Intercity Notte nach Sizilien. Die lange Fassung mit mehr Eindrücken, vielen Fotos und allen praktischen Tipps lest ihr natürlich in der Zugpost.
Habt einen schönen Sonntag!
– Sebastian
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Kurzstrecke 💬
Was gibt es Neues auf Europas Gleisen? Worüber spricht die Zugreise-Community? Das Wichtigste in der Kurzstrecke!
EU verschenkt Interrail-Pässe
Unter dem Motto „DiscoverEU“ verschenkt die Europäische Union wieder Interrail-Pässe an junge Erwachsene. Bewerben können sich alle, die in diesem Kalenderjahr ihren 18. Geburtstag feiern, also zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 2006 geboren sind. Wer ausgewählt wird, kann zwischen dem 1. März 2025 und dem 31. Mai 2026 bis zu 30 Tage lang durch Europa reisen. Interessant für euch, eure Kids oder Enkel? Dann beeilt euch, denn die Bewerbungsfrist endet am Mittwoch, dem 16. Oktober 2024, um 12 Uhr. Alle Infos zur Bewerbung findet ihr hier.
Winterfahrplan kommt
Am 15. Dezember steht der europaweite Fahrplanwechsel an. Wie die Deutsche Bahn nun bekannt gab, sind Buchungen für Reisen nach diesem Datum ab dem 16. Oktober möglich. Eine Neuerung: Künftig sind viele Angebote bis zu zwölf Monate im Voraus buchbar. Wie üblich steigen zum Fahrplanwechsel auch die Preise. Fahrten zum Flexpreis werden im Schnitt um 5,9 % teurer, der Preis für die BahnCard 100 steigt um 6,6 %. Sparpreis-Tickets und die übrigen BahnCards bleiben dagegen preisstabil. Mehr zu den Änderungen.
Westbahn erweitert Angebot
Die österreichische Westbahn verlängert zum Fahrplanwechsel ihre Zugverbindung Wien–München bis nach Stuttgart. Die Züge verkehren über Augsburg, Günzburg und Ulm. Die neue Direktverbindung zwischen Wien und Stuttgart wird zunächst zweimal pro Tag und Richtung angeboten, die Fahrzeit beträgt 6,5 Stunden. Tickets gibt es ab 29 Euro in der 2. Klasse. Tipp: Inhaber eines gültigen Deutschland-Tickets erhalten bei der Westbahn bis zu 50 % Rabatt auf den Flexpreis.
Dauerbaustelle in Schweden
Schwierige Zeiten stehen Reisenden auf Schwedens wichtigster Bahnstrecke zwischen Stockholm und Göteborg bevor. Wegen Bauarbeiten kommt es von 2025 bis 2027 zu Zugausfällen und längeren Fahrzeiten. Im kommenden Jahr wird zunächst der Abschnitt zwischen Alingsås und Göteborg nur noch eingleisig befahrbar sein. In der Folge kann nur ein Fernzug pro Stunde verkehren, und die Reisezeit verlängert sich auf 3,5 Stunden. An einigen Wochenenden ist zudem mit Totalsperrungen zu rechnen.
Snälltåget will Göteborg anfahren
Nachdem sich die SJ aus dem Nachtzugverkehr ab Göteborg zurückzieht, könnte der private Snälltåget zumindest einen Teil der Verbindungen übernehmen. Snälltåget plant, seinen saisonalen Nachtzug von Malmö nach Åre über Göteborg fahren zu lassen. Der Zug soll jedoch weiterhin nur zu Hauptreisezeiten verkehren und bietet ausschließlich Sitz- und Liegewagen. Für Reisende, die regelmäßig zwischen Göteborg und der Region Jämtland pendeln, ist er daher kein vollwertiger Ersatz für die Nachtzüge der SJ.
Schneller nach Belgrad
Die Bahnstrecke zwischen Budapest und Belgrad wird seit 2019 für Geschwindigkeiten von bis zu 200 km/h ausgebaut. Am 24. November soll nun ein weiterer Abschnitt freigegeben werden, wodurch sich Reisen von Budapest nach Belgrad deutlich vereinfachen. Künftig gibt es täglich drei Verbindungen mit Umstiegen in Szeged und Subotica. Die Reisezeit zwischen Budapest und Belgrad verkürzt sich auf rund 7 Stunden, einen provisorischen Fahrplan findet ihr hier. Nach der vollständigen Inbetriebnahme der Strecke im Jahr 2026 soll die Fahrzeit zwischen den beiden Hauptstädten auf unter 3 Stunden sinken.
Ein neuer Bahnhof für Belfast
Nordirlands Hauptstadt Belfast hat einen neuen Hauptbahnhof. Die heute eröffnete Belfast Grand Central Station ist mit acht Bahnsteigen und 26 Halteplätzen für Busse der größte integrierte Verkehrsknoten auf der irischen Insel. Jährlich werden bis zu 20 Millionen Fahrgäste erwartet. Der Zugverkehr am bisherigen Hauptbahnhof Great Victoria Street wurde bereits im Mai eingestellt. Belfast ist die wichtigste Drehscheibe im nordirischen Eisenbahnnetz und verfügt zudem über eine internationale Verbindung nach Dublin in der Republik Irland.
Schienenmoment 🚞
Fotos, Geschichten, Augenblicke – eure schönsten Eindrücke von unterwegs.

Dass man auch in Alaska mit dem Zug fahren kann, schrieb mir Zugpost-Leser Andreas. Im August war er mit der Alaska Railroad von Seward nach Anchorage unterwegs. Der Zug bietet nicht nur Aussichtswagen und ein Bordrestaurant, sondern auch ein kleines Museum, in dem man mehr über die Geschichte der Eisenbahn in Alaska erfahren kann. Was für ein Erlebnis!
Ende der Linie 🚉
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