Hallo Zugfans 👋
„Zugfahrten über vier Stunden sind eine Tortur“, sagte einmal der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn. Besonders überzeugt vom eigenen Produkt war er offenbar nicht.
Heute sieht man das bei der Deutschen Bahn ganz anders. In der vielleicht größten Krise ihrer Geschichte setzt sie wieder verstärkt auf langlaufende Direktverbindungen. Diese verschwinden nicht mehr irgendwo im Fahrplan, sondern werden aktiv beworben. Jüngster Stolz: der direkte ICE von Berlin nach Paris. Fahrtzeit? Acht Stunden.
Ich bin vor ein paar Wochen mitgefahren. Es war eine angenehme Fahrt. Und: Der Zug war komplett voll. Es gibt also genug Menschen, die sich diese, nach Mehdorn, doppelte Folter antun.
Alles gut also?
Direktverbindungen wie diese werden als sicher vermarktet. Klar, wer nicht umsteigen muss, verpasst auch keinen Anschluss. Doch eigentlich ist das ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns. Man flickt an Symptomen herum, statt die Ursachen anzugehen.
Zugleich entsteht der Eindruck, Direktverbindungen seien das einzig Wahre, Umstiege dagegen ein Makel.
Dabei geht etwas verloren: die Idee der Bahn als Netzwerk. Als große Maschine, in der viele Rädchen ineinandergreifen. Und dazu gehören eben auch Umstiege. Schon rein rechnerisch ist es unmöglich, jede Stadt mit jeder zu verbinden – mit der Anzahl der Orte steigt die Zahl der nötigen Direktverbindungen schnell ins Unermessliche.
Zudem sind Züge mit langem Laufweg schwieriger zu produzieren. Je länger die Fahrt, desto mehr kann unterwegs schiefgehen. Die Zugteams müssen übernachten, die nächste Werkstatt ist weit weg. Kein Wunder, dass der ICE nach Paris oder der Urlauberzug ans Meer nicht jede Stunde verkehrt, sondern einmal am Tag.
Und damit sind wir beim Kernproblem: Mit Direktverbindungen allein lässt sich kaum Kapazität auf die Schiene bringen.
Spanien vs. Schweiz
Das erlebte ich wenig später in Spanien. Die dortige Bahn ist organisiert wie der Flugverkehr: Eine Sammlung von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, kaum aufeinander abgestimmt. Nah- und Fernverkehr operieren weitgehend getrennt nebeneinander her. Dazu weitere Gemeinheiten wie Check-ins, Zugangssperren und Gepäckkontrollen.
Auf Paradestrecken wie Madrid–Barcelona mag das funktionieren. Doch abseits davon stößt das System schnell an Grenzen. Beispiel: Als ich von Sevilla nach Málaga wollte, wurde ich über Córdoba geschickt. Das ist an sich schon kurios, wenn man auf die Karte schaut.
In Córdoba wurde es dann absurd: Eine Bahnmitarbeiterin sammelte mich und zwei weitere Umsteigende direkt am Bahnsteig ein, um uns zum nächsten Gleis zu lotsen. Hätte ich die Frau mit ihrem Schild nicht zufällig entdeckt – ich hätte nochmal durch den Gepäckscanner gemusst und den Anschluss vermutlich verpasst.

Dass das keine effiziente Art ist, eine Eisenbahn zu organisieren, schlägt sich auch in Zahlen nieder: Nur 6,7 Prozent des Personenverkehrs in Spanien werden auf der Schiene abgewickelt. Zum Vergleich: In der Schweiz sind es knapp 20 Prozent. Das zeigt eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung (siehe Kurzstrecke unten).
Was macht die Schweiz anders?
Zum einen ist die Bahn hier besser finanziert. Auffällig aber auch: Trotz der kleinen Fläche gibt es kaum Züge, die das ganze Land durchqueren. Umstiege sind dagegen selbstverständlich. Von Basel nach Genf? Umsteigen in Bern und Lausanne. Von Zürich nach Zermatt? Zugwechsel in Bern und Visp.
Der gesamte Bahnverkehr folgt einem landesweiten Takt, alles ist aufeinander abgestimmt. Man denkt in Reiseketten, nicht in einzelnen Zügen. Die Umstiege sind knapp, aber in der Regel zuverlässig. Reservierungen? Braucht kein Mensch – es gibt schließlich genug Platz. Und wenn der Zug doch mal überfüllt ist, nimmt man eben den nächsten. Der kommt meist keine 30 Minuten später.
Das alles ist eingeübt und für Reisende Routine. Oder, um es in einem Satz zu sagen: Umsteigen ist hier kein Bug, sondern ein Feature.
Die gute Nachricht: Direkt oder mit Umstieg – das eine muss das andere keineswegs ausschließen. Einzelne Direktzüge, gerade zu touristischen Zielen, sind eine sinnvolle Ergänzung. Aber sie sollten auf einem leistungsfähigen Grundnetz stehen: integriert, dicht getaktet und vor allem verlässlich.
Wie ist es bei euch? Fahrt ihr lieber direkt? Oder habt ihr kein Problem mit Umstiegen? Schreibt mir gerne einen Kommentar!
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Kurzstrecke 💬
Was gibt es Neues auf Europas Gleisen? Worüber spricht die Zugreise-Community? Das Wichtigste in der Kurzstrecke!
Paris–Mailand wieder offen
Nach über anderthalb Jahren Unterbrechung rollt der Zugverkehr zwischen Paris und Mailand wieder. Ein Erdrutsch im Tal der Maurienne hatte die Verbindung im Sommer 2023 lahmgelegt. Seit dem 1. April fahren wieder täglich fünf Züge – drei TGV der französischen SNCF und zwei Frecciarossa der italienischen Trenitalia. Auch der Regionalverkehr Richtung Modane ist zurück.
Europäischer Bahnvergleich
Was macht eine gute Eisenbahn aus? Dieser Frage geht eine von der Hans-Böckler-Stiftung beauftragte Studie nach. Verglichen wird die Leistungsfähigkeit der Schiene in Deutschland mit jener in der Schweiz, Österreich, Frankreich, Spanien und Polen. Ein zentrales Ergebnis: Ob ein staatlicher Bahnkonzern integriert arbeitet oder Betrieb und Infrastruktur getrennt sind, hat wenig Einfluss. Viel wichtiger ist eine langfristig gesicherte Finanzierung mit ausreichend Mitteln.
Berlin–Stettin: Ausbau weiter verzögert
Die Modernisierung der Bahnstrecke zwischen Berlin und Stettin verzögert sich erneut. Die Inbetriebnahme ist nun erst für Ende 2027 geplant. Betroffen ist der Abschnitt zwischen Angermünde und der deutsch-polnischen Grenze. Gründe sind laut Deutscher Bahn Personalmangel in der Bauwirtschaft sowie langwierige Genehmigungsverfahren. Die 49 Kilometer lange Verbindung wird derzeit elektrifiziert und für Tempo 160 ausgebaut.
Mehr Züge nach Litauen
Der Zugverkehr zwischen Polen und Litauen wird erweitert. Ab Dezember 2025 sollen zur bestehenden Verbindung von Krakau über Warschau nach Vilnius weitere Züge aus Stettin, Zielona Góra und Suwałki hinzukommen. Künftig werden damit zwei Zugpaare täglich zwischen Warschau und Vilnius unterwegs sein. Der koordinierte Umstieg in Mockava zwischen polnischem und litauischem Zug bleibt bestehen. Zudem sollen die Fahrzeiten so angepasst werden, dass in Warschau künftig Anschlüsse von den Nachtzügen aus Wien und München möglich sind.
Letzter Nachtzug von Göteborg
Am vergangenen Wochenende fuhr zum letzten Mal ein Nachtzug der schwedischen Bahn von Göteborg nach Åre und Duved. Die Verbindung zwischen Schwedens Westküste und der beliebten Ski- und Wanderregion Jämtland ist damit nach 50 Jahren Geschichte. Bereits im Dezember wurde die Strecke von Göteborg ins nordschwedische Umeå eingestellt. Schwedens zweitgrößte Stadt ist seither ohne regelmäßige Nachtzugverbindung.
Schienenmoment 🚞
Fotos, Geschichten, Augenblicke – eure schönsten Eindrücke von unterwegs.

Dass schlechtes Wetter kein Grund ist, auf eine Zugfahrt zu verzichten, erlebte Sylvia auf der höchstgelegenen Schmalspurbahn Österreichs, der Taurachbahn im Salzburger Land. Im Gegenteil:
Ich habe mich über den Regentag richtig gefreut. Seit Jahren verbringen wir eine Woche in Mariapfarr zum Wandern – und immer war das Wetter so schön, dass wir lieber in den Bergen herumgekraxelt sind. 2024 war es endlich so weit, dass wir wegen des Regens die Zugfahrt unternommen haben. Ich bin nämlich ein totaler Fan von historischen Zügen!
Nach dem Mittagessen beim Anderlwirt sind wir zu Fuß zurück und konnten die Rückfahrt des Zuges und die händische Bedienung der Bahnschranken vom Wanderweg aus beobachten.
Vielen Dank für diese Eindrücke, liebe Sylvia!
Übrigens: Die Saison 2025 der Taurachbahn startet am letzten Juni-Wochenende und dauert bis Ende September.
Ende der Linie 🚉
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