Ein elegantes Tweed-Jackett. Ein wunderbarer schottischer Akzent. Und eine große Portion Witz und Herzlichkeit. So werden wir an Gleis 1 des Bahnhofs London Euston von unserem Host begrüßt. Er steht vor einem Schlafwagen mit Fahrtziel Fort William, unserem Zuhause für die Nacht. Auf dem Weg über den Bahnsteig haben wir schon drei seiner ebenso freundlichen Kolleginnen und Kollegen kennengelernt.
Was für ein Kontrast. Beim Eurostar, der uns nach London gebracht hat, waren wir noch kurz vor der Abfahrt wieder aus dem Zug gejagt worden. Ein Problem mit dem Sicherheitscheck, wir mussten die gesamte Prozedur aus Gepäckkontrolle, Ausreise und Einreise noch einmal über uns ergehen lassen. Das Zugpersonal glänzte durch Abwesenheit, Informationen flossen nur langsam.
Ganz anders beim Caledonian Sleeper.
Dass Service beim Nachtzug nach Schottland großgeschrieben wird, haben wir schon lange vor der Reise gemerkt. Zweimal mussten wir unsere Buchung ändern, einmal die Komfortkategorie und einmal das Reisedatum. Das Support-Team des Caledonian Sleeper reagierte blitzschnell und machte unsere Wünsche anstandslos möglich.
Dieser gute Eindruck sollte sich in den kommenden gut zwölf Stunden nur bestätigen, so viel sei verraten.
Highland und Lowland Sleeper
Doch zunächst zu den Basics. Unter dem Namen Caldonian Sleeper betreibt das Unternehmen Serco zwei Nachtzüge von London zu verschiedenen Zielen in Schottland. Beide Züge bestehen aus mehreren Zugteilen. Sie verkehren täglich, außer samstags.
Wir sind im Highland Sleeper unterwegs. Er verlässt London um kurz nach 21 Uhr und führt Zugteile nach Aberdeen, Fort William und Inverness. Frühmorgens wird der Zug in Edinburgh geteilt. Über verschiedene Strecken in Schottland erreichen die Zugteile ihre Ziele dann am Vormittag.
Unser Zugteil nach Fort William fährt über die West Highland Line, die als schönste Bahnstrecke Großbritanniens gilt. Fort William liegt am Fuß des Ben Nevis und ist ein klassisches Tor zur schottischen Wildnis. Wir fahren allerdings nicht ganz bis zur Endstation, sondern unser Ziel ist ein ganz besonderer Bahnhof mitten in den Highlands: Corrour.
Auch die anderen Routen des Highland Sleeper haben ihren Reiz. Nach Inverness geht es auf der zentralen Highland Main Line über den höchsten Punkt im britischen Eisenbahnnetz, während auf der Küstenstrecke nach Aberdeen das Meer den Ton angibt.
Der zweite Nachtzug heißt Lowland Sleeper und führt Zugteile nach Glasgow und Edinburgh. Die Zugteilung erfolgt im Bahnhof Carstairs. Da die Strecken des Lowland Sleeper deutlich kürzer sind, ist die Abfahrt in London erst gegen Mitternacht. Was Wagenmaterial und Service betrifft, sind beide Züge des Caledonian Sleeper identisch.
Komfort an Bord
Die Wagen des Caledonian Sleeper wurden 2019 in Dienst gestellt, sind für Nachtzug-Verhältnisse also brandneu. Beide Züge sind stolze 16 Wagen lang und bestehen zum weitaus größten Teil aus Schlafwagen.
In den Schlafwagen gibt es drei Komfortkategorien:
- Classic Room: Die Einstiegsklasse. In jedem Classic Room gibt es zwei Betten, die übereinander angeordnet sind. Im Abteil befindet sich ein Waschbecken, Toiletten findet ihr am Wagenende. Zugang zu einer Dusche gibt es nicht. Mittels einer Verbindungstür lassen sich benachbarte Abteile zu einer Art Suite verbinden, was sich besonders für Familien eignet.
- Club Room: Das gewisse Extra. Die Abteile sind identisch zu den Classic Rooms, haben aber zusätzlich ein kleines Badezimmer mit WC und Dusche. Darüber hinaus ist für Reisende im Club Room das Frühstück inklusive und es gibt weitere Vorteile wie Lounge-Zugang an einigen Bahnhöfen sowie – bei Platzknappheit – bevorzugten Zugang zum Speisewagen.
- Caledonian Double: Die Luxusklasse. Statt Stockbetten gibt es ein komfortables Doppelbett, die Grundfläche des Abteils ist entsprechend größer. Auch im Caledonian Double gibt es ein eigenes Bad mit Dusche und WC sowie alle weiteren Vorteile des Club-Abteils.
In jedem Zugteil des Caledonian Sleeper wird in der Regel ein barrierefreier Schlafwagen mitgeführt. Darin gibt es je ein rollstuhlgerechtes Abteil in den Kategorien Classic und Caledonian Double, diese befinden sich am Wagenende. Barrierefreie Club-Abteile gibt es dagegen nicht. Neben den Schlafwagen gibt es im Caledonian Sleeper außerdem Sitzwagen mit Fahrradstellplätzen sowie mit dem Club Car einen vollwertigen Speisewagen.
Wir sind in einem Classic Room untergebracht, da wir mit Interrail-Pässen der 2. Klasse reisen. Eine Fahrt im Club Room erfordert einen Pass der 1. Klasse. Ein Caledonian Double steht Reisenden mit Interrail nicht zur Verfügung; möchtet ihr euch diesen Luxus gönnen, müsst ihr also ein reguläres Ticket kaufen.
Erster Eindruck vom Caledonian Sleeper
Doch zurück nach Euston. Nachdem der Check-in erledigt ist (unser Name genügt, für das Ticket interessiert sich niemand) und uns der Host das Wichtigste erklärt hat, klettern wir gespannt in den Schlafwagen. Erster Eindruck: Wow, das ist ja wirklich so stylisch und elegant hier wie auf den Fotos im Internet!
Und der zweite: Wow, ist das alles winzig.
Schuld ist das britische Lichtraumprofil, das keinen Platz für Ausschweifungen lässt. Sich im schmalen Gang zu begegnen ist unmöglich, und auch mancher Rollkoffer dürfte hier an seine Grenzen stoßen.
Als Rucksackreisende kommen wir aber gut zurecht. Wir sind so oder so viel zu aufgeregt, was uns hinter der Abteiltür erwartet.
Unser Classic Room liegt auf halber Strecke zwischen Einstieg und Wagenmitte. Hinreichend weit weg also von den Drehgestellen, so dass es mit der Nachruhe keine Probleme geben sollte. Bei Nachtzügen gilt generell: Je weiter in der Mitte, desto weniger Laufgeräusche kommen an.
Klein, aber oho
Das Abteil zeigt sich dann wie der Rest des Zuges: äußerst kompakt, aber liebevoll und mit Auge fürs Detail gestaltet.
Unser Gepäck verschwindet unter dem unteren Bett. Was positiv auffällt, ist die sehr gute und dimmbare Beleuchtung. Das Waschbecken funktioniert tadellos und auch warmes Wasser ist vorhanden. Uns gefallen außerdem die vielen kleinen Details wie das typisch schottische Stoffmuster an der Wand.
Neben Handtüchern finden wir für jeden eine Flasche Wasser sowie ein kleines Nacht-Kit mit Schlafmaske, Ohrstöpseln und Seife.
Im Abteil liegen zwei Key Cards bereit, mit denen sich die Abteiltür von außen öffnen lässt. Die Karten müssen zunächst aktiviert werden, dazu haltet ihr sie zweimal vor den Sensor an der Tür.
Vielleicht noch interessant aus europäischer Sicht: Im Abteil gibt es USB-Steckdosen. Um euer Smartphone zu laden, braucht ihr also nicht zwingend einen Adapter für britische Steckdosen. Da ihr aber vermutlich sowieso noch ein paar Tage in Schottland verbringen werdet, schadet es natürlich nicht, einen solchen trotzdem im Reisegepäck haben.
Besuch im Club Car
Pünktlich um 21:15 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Das Abfahrtgleis wurde etwa 45 Minuten zuvor bekannt gegeben, der Einstieg war ab dann möglich. Um die Nachtruhe nicht zu stören, gibt es an Bord des Caledonian Sleeper generell keine Durchsagen.
Nachdem wir uns häuslich eingerichtet und das Abteil ausgiebig bestaunt haben, ist es Zeit für einen wee visit im Club Car. Der Zugteil nach Fort William führt als einziger kein eigenes Restaurant, bis zur Zugteilung kann man aber das Club Car im Zugteil nach Aberdeen mitnutzen.
Wie in Großbritannien üblich wird man an einen Tisch platziert. Stürmt also nicht gleich auf den ersten freien Platz, sondern nehmt kurz Kontakt mit dem Servicepersonal auf.
Die Stimmung im Club Car ist entspannt und ruhig. An den anderen Tischen wird vor allem gelesen, bei Tee oder einem Glas Wein. Von Trinkgelagen, von denen hier und da zu lesen ist, keine Spur.
Der Service ist auch hier gut, aufmerksam und freundlich. Wir belassen es bei einem Drink und genießen die tolle Atmosphäre. Das Interieur im Club Car sieht wirklich klasse aus und auch über die Küche hört man viel Gutes. Lasst euch das auf keinen Fall entgehen!
Bezahlen können wir ganz einfach kontaktlos mit Karte.
Aufwachen in den Highlands
Wie das immer so ist im Nachtzug, vergeht die Zeit viel zu schnell. So ist es bereits nach Mitternacht, als sich die Abteiltür hinter uns schließt. Der Halt in der nordenglischen Eisenbahnstadt Crewe liegt da schon hinter uns.
Wir schlafen erstaunlich gut. Wenn auch nur kurz, schließlich wollen wir am Morgen noch etwas von der Landschaft sehen. Und die zeigt sich beim ersten Blick aus dem Fenster von ihrer schönsten Seite: Berge, tiefblaue Seen und Schafe überall. Dazu strahlt die Sonne, die uns bis zum Schluss unserer Reise durch Schottland begleiten sollte.
Die Betten erwiesen sich als überraschend bequem, nachdem wir die dünnen Matratzen am Abend noch etwas skeptisch beäugt hatten. Mit meinen 1,83 Metern kam ich gut zurecht, viel länger solltet ihr aber nicht sein.
Unterwegs sind wir kaum einmal aufgewacht, auch von den Rangierarbeiten in Edinburgh bekamen wir nichts mit. Vor der Reise hatten wir einige kritische Berichte zum Fahrkomfort des Caledonian Sleeper gelesen. Das können wir so nicht bestätigen. Die abendliche Fahrt durch England war angenehm und nicht ruhiger oder unruhiger als in anderen Nachtzügen.
Am Morgen dann auf der West Highland Line – einer eingleisigen, nicht elektrifizierten Gebirgsstrecke – ist es deutlich holpriger. Das liegt aber vor allem an den Schienenstößen, die im ländlichen Schottland noch üblich sind, und ist weniger dem Caledonian Sleeper anzulasten. Ob man das Galoppieren des Zuges als romantisches kleines Bonusfeature oder als störend empfindet, liegt wohl im Auge des Betrachters.
Breakfast Time
Im Classic Room ist kein Frühstück enthalten, kann aber gegen kleines Geld an Bord dazu bestellt werden. Dazu füllten wir am Abend ein Kärtchen aus und drückten es unserem Host in die Hand. Kurze Zeit später kam er zur Bezahlung vorbei, auch das lief unkompliziert mit Karte.
Entschieden haben wir uns für das schottische Porridge, und das ist wirklich sehr gut – angenehm cremig und mit einer guten Prise Salz. Dazu gibt es Honig, ein Heißgetränk, Orangensaft und einen Müsliriegel. Für gerade einmal 4,50 Pfund pro Person ein echtes Schnäppchen.
Wir fragen uns allerdings, warum das Frühstück nicht gleich im nicht gerade niedrigen Ticketpreis enthalten ist.
Wir haben versäumt, am Abend zuvor eine Zeit auszumachen, zu der das Frühstück serviert werden soll. Als die Ankunftszeit näher rückte, wurden wir etwas nervös. Schließlich nahmen über die Sprechanlage im Abteil Kontakt zum Host auf, was tadellos funktionierte. Wenn ihr euch Stress am Morgen ersparen wollt, schreibt eure Wunschzeit einfach mit auf die Frühstückskarte.
Wer mag, kann zum Frühstücken auch in das Club Car gehen und dort aus einer größeren Auswahl wählen (zur Speisekarte). Natürlich fehlt auch das Traditional Scottish Breakfast mit Eiern, Speck, Baked Beans, Haggis und Black Pudding nicht auf der Karte.
Ankunft in Corrour
Um kurz vor 9 Uhr ist es dann so weit: Ankunft im legendären Corrour, dem höchsten und abgelegensten Bahnhof Großbritanniens!
Bereits bei der Ausgabe des Frühstücks werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass wir aufgrund des kurzen Bahnsteigs in Corrour den Zug nur über den letzten Wagen verlassen können.
Zehn Minuten vor Ankunft holt uns dann einer der Hosts persönlich vom Abteil ab und führt uns durch die fünf Wagen bis zum Zugende. Jeder Mitarbeiter, dem wir dabei begegnen, hat noch ein Goodbye oder einen netten Spruch für uns auf den Lippen.
Nach 11 Stunden 43 Minuten Fahrt, und damit auf die Minute pünktlich, springt dann die Tür auf. Noch ein letztes Thank You, dann stehen wir da, auf dem Bahnsteig, mitten in der absoluten Einsamkeit.
Corrour, was für ein Ort.
Okay, zugegeben, ganz einsam sind wir nicht. Mit uns ist noch eine Handvoll Wanderer aus dem Zug gestiegen.
Aber die zerstreuen sich bald in die Berge. Wir hingegen bleiben – wortwörtlich, denn die kommenden Nächte verbringen wir im Corrour Station House, der wohl großartigsten Unterkunft für Zugfans auf der ganzen Welt.
Aber das ist eine andere Geschichte, die ihr in unserem Artikel „Einmal nach Corrour“ nachlesen könnt.
Ein teures Vergnügen
Zum Schluss müssen wir noch über den Elefanten im Raum reden. Beim Caledonian Sleeper ist nicht nur das Porridge gesalzen, sondern auch der Preis. Eine Nachtzugfahrt nach Schottland wird ein Loch in eure Reisekasse reißen. Für einen Classic Room starten die Preise bei 175 Pfund für Einzelreisende, für zwei Personen sind es 205 Pfund.
Noch tiefer in die Tasche greifen müsst ihr für eine Fahrt im Club Room. Hier liegen die Startpreise bei 235 und 290 Pfund für Einzel- bzw. Doppelbelegung. Und beim Caledonian Double reden wir von 400 Pfund aufwärts. Sitzplätze gibt es dagegen bereits ab 50 Pfund.
Tickets lassen sich bis zu ein Jahr im Voraus kaufen, die Buchung ist einfach online auf sleeper.scot möglich.
Die gute Nachricht: Ihr könnt den Caledonian Sleeper auch mit Interrail nutzen und den Preis so in etwas erträglichere Regionen drücken. Für einen Classic Room zahlt ihr dann einen Zuschlag von 130 Pfund bei Einzelbelegung und 150 Pfund für zwei Personen. Für einen Club Room, der ein Interrail der 1. Klasse erfordert, sind es 180 und 210 Pfund.
Den Aufpreis bucht ihr ganz einfach online: Auf sleeper.scot gebt ihr eure Verbindung ein und setzt dann unter den Optionen den Haken bei „Room Supplement Only“. Ihr müsst dann noch einmal bestätigen, dass ihr wirklich nur ein Supplement wollt, und schon werdet ihr zum normalen Buchungsprozess weitergeleitet.
Interessant ist auch das Family Ticket, bei dem sich zwei oder drei benachbarte Abteile für Familien zum vergünstigten Preis buchen lassen.
Fazit
Ganz klar: Die Fahrt mit dem Caledonian Sleeper ist ein großartiges Erlebnis, das ich nicht missen möchte.
Europas bester Nachtzug? Mit absoluten Aussagen wie dieser tue ich mich schwer, jeder Nachtzug hat seinen eigenen Reiz. Wo der Caledonian Sleeper besticht, ist in Sachen Service und Komfort. Ich habe noch keinen Nachtzug erlebt, wo das Motto „Hotel auf Schienen“ so sehr zutrifft.
Natürlich hat das seinen Preis. Im ohnehin nicht gerade günstigen Schottland, insbesondere was Übernachtungen betrifft, relativiert sich das aber wieder ein bisschen. Und die großartige Landschaft, die am Morgen vor dem Fenster vorbeizieht, dürfte auch den letzten, der sich über das Loch in der Reisekasse grämt, wieder gnädig stimmen.
Übrigens: Ab Juni 2023 wird der Caledonian Sleeper von Schottlands Eisenbahn ScotRail übernommen. Welche Auswirkungen das auf Betrieb und Preise haben wird, bleibt abzuwarten. Kurzfristig dürfte sich jedoch nicht viel ändern.
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