Der Zug schmiegt sich an den Fluss. Links und rechts grüne Hänge, die sich immer weiter zurückziehen und Platz machen für den goldgelb schimmernden Sand. Süßwasser mischt sich mit Salzwasser. Noch eine Kurve, ein letzter Tunnel – und dann taucht er tosend vor dem Fenster auf: der Atlantik.
Ich bin unterwegs im spanischen Baskenland. Hier fährt die Schmalspurbahn Euskotren. Nein, keine Museumsbahn, sondern eine moderne Stadt- und Regionalbahn. Sie bringt Menschen zur Arbeit, zur Schule oder zu einem Ausflug ans Meer.
Meine Reise führt mich in drei Tagen von Hendaye an der französisch-spanischen Grenze über San Sebastián und den Fischerort Bermeo bis in die Metropole Bilbao. Mal mehr, mal weniger nah an der Küste entlang – aber immer in den kleinen Zügen von Euskotren.

Hendaye – San Sebastián
Bahnhof Hendaye im März. Ich bestelle noch einen letzten Kaffee auf Französisch, dann gehe ich die paar Schritte hinüber zur Station von Euskotren. Hier gibt es etwas, was man in Frankreich kaum findet: einen dichten Taktverkehr. Alle 30 Minuten fährt ein Zug über die Grenze nach Irun und weiter nach San Sebastián.
„No Interrail!“ verkündet ein Schild am Automaten. Das würde sich ohnehin nicht lohnen – selbst die längsten Strecken im Netz von Euskotren kosten nur ein paar Euro. Nach San Sebastián sind es etwa 40 Minuten.
Leise surrt der Zug los. Die Flotte von Euskotren ist topmodern und fährt komplett elektrisch. Beim Komfort hingegen zeigt sich, dass es sich eher um eine S-Bahn handelt: Die Sitze sind hart, Toiletten gibt es nur auf der Langstrecke nach Bilbao.


Wir überqueren den Grenzfluss, dann sind wir in Spanien. Das hört hier allerdings nicht jeder so gern. Auch wenn der gewaltsame Kampf inzwischen beigelegt ist, ist das Streben nach Unabhängigkeit im Baskenland weiterhin stark verankert.
Offiziell gilt das Baskenland, oder Euskadi, als Autonome Gemeinschaft innerhalb Spaniens. Etwa 2,2 Millionen Menschen leben hier. Unter die weitreichenden Rechte zur Selbstverwaltung fällt auch Euskotren, das sich im Besitz der Regionalregierung befindet. Neben Spanisch ist Baskisch zweite Amtssprache – und das zeigt sich auch auf Fahrplänen und Zuglaufschildern.
San Sebastián / Donostia
San Sebastián heißt auf Baskisch Donostia und trägt inzwischen auch offiziell einen Doppelnamen. Der Zug hält am Bahnhof Amara-Donostia, dem wichtigsten Knotenpunkt im Netz von Euskotren. Der Bahnhof der Staatsbahn Renfe, der gerade umgebaut wird, liegt einen Kilometer entfernt am anderen Ufer des Urumea.



Ich bleibe zwei Nächte in San Sebastián – eine tolle Stadt, traumhaft gelegen an zwei Buchten, mit den vielleicht schönsten Stadtstränden Europas. Ein paar Mutige steigen schon jetzt ins Meer, richtig zum Baden eignet sich die raue Biskaya aber erst im Sommer.
Ein Muss ist die Aussicht von den beiden Hausbergen Monte Urgull und Monte Igueldo, auf letzteren fährt sogar eine Seilbahn. Und dann sind da natürlich noch die Pintxos, die baskische Form der Tapas: kleine Häppchen, die man in den Bars der Altstadt isst. Profis lassen sich in jeder Bar nur genau eins geben – die Spezialität des Hauses – und ziehen dann weiter. Nicht ganz zu Unrecht rühmt sich San Sebastián als kulinarischer Nabel der Welt.

Auch wenn die Wolken an diesen Vorfrühlingstagen meist bleischwer am Himmel hängen, unternehme ich eine schöne Wanderung ins Fischerdorf Pasaia. Vom östlichen Strand Zurriola sind es nur ein paar Schritte und ich stehe hoch oben auf der Steilküste, inmitten der Natur. Ein paar Trailrunner kreuzen meinen Weg, ansonsten bin ich ganz allein unterwegs.
Das letzte Stück schaukelt mich ein kleines Fährboot hinüber zum historischen Zentrum von Pasaia, den Ortsteil Donibane. Hier stärke ich mich mit Pintxos und Café con leche – und entdecke den ersten Orangenbaum dieser Reise!


Ich laufe weiter zum Bahnhof Lezo-Errenteria. Hier fährt nicht Euskotren, sondern die Renfe auf spanischer Breitspur, und bringt mich zurück nach San Sebastián. Im östlichen Teil des Baskenlandes verlaufen beide Bahnsysteme weitgehendend parallel.
San Sebastián – Bermeo
Manchmal reicht ein einziges Foto, um eine ganze Reise in Gang zu setzen. In meinem Fall war es ein Bild von Tobias Watzl: Ein Zug von Euskotren rollt über ein Viadukt, direkt am Meer entlang. Ich wusste sofort – da muss ich hin! Tobias war so freundlich, mir sein Fotos als Titelbild für diese Zugpost zur Verfügung zu stellen. Vielleicht inspiriert es ja auch euch?
Das Viadukt liegt kurz vor Bermeo, einer kleinen Hafenstadt an der baskischen Küste. Dorthin führt eine Stichstrecke von Euskotren, die von der Hauptlinie San Sebastián–Bilbao abzweigt. Ein kleiner Umweg, der sich aber unbedingt lohnt.

Eines Tages soll eine Schnellfahrstrecke San Sebastián mit Bilbao verbinden. Bis es so weit ist, schlängelt sich der Zug wunderschön an Flussläufen entlang durch das baskische Hinterland.
Zwischen den beiden größten Städten im Netz (die Hauptstadt des Baskenlandes, Vitoria-Gasteiz, ist nicht an Euskotren angebunden) verkehrt jede Stunde ein Zug, auf einzelnen Abschnitten wird der Takt verdichtet. Die Fahrt auf der Gesamtstrecke dauert gemütliche zweieinhalb Stunden.
Es geht durch viele Orte, an denen man eigentlich einmal aussteigen müsste. Da ist Zumaia mit seiner bizarren Felsküste, dem sogenannten Flysch. Das Städtchen Deba, wo uns Palmen am Bahnsteig begrüßen. Oder Eibar und Durango, die zu einer Wanderung in die Berge locken. Aber es ist wie so oft auf meinen Reisen: Ich muss mir versprechen, noch einmal wiederzukommen.


In Lemoa steige ich um in den Zug nach Bermeo. Wir kommen durch Gernika. Die brutale Zerstörung der Stadt durch deutsche und italienische Flieger im Spanischen Bürgerkrieg veranlasste Pablo Picasso zu seinem berühmten Gemälde Guernica. Seine Worte scheinen aktueller denn je:
„Wo Humanität und Zivilisation auf dem Spiel stehen, kann sich ein Künstler nicht gleichgültig verhalten.“
Durch ein hügeliges Sumpfland erreichen wir schließlich die trichterförmige Mündung des Oka-Flusses. Auf den letzten Kilometern geht es spektakulär an der Steilküste entlang, bis wir in den halb unterirdischen Bahnhof von Bermeo rollen.
Bermeo und Umgebung
Bermeo ist eine Kleinstadt, die ganz im Zeichen der Fischerei steht. Von den bunten Häusern der Altstadt schießt eine Mole schnurgerade ins Meer und schützt den Hafen vor den größten Brechern.


Ich komme in einer kleinen Herberge unter. Mit leuchtenden Augen erzählt mir die Vermieterin von ihrer Stadt, der Kraft der Gezeiten und der Fiesta, die jedes Jahr im Juli zu Ehren der Heiligen Magdalena in Bermeo stattfindet.
Sie kritzelt mir noch den Weg nach Gaztelugatxe auf eine Karte, dazu den Fahrplan eines Minibusses, der so geheim ist, dass ihn nicht mal das Internet kennt. Das Felsenkloster mitten im Meer ist eines der Wahrzeichen des Baskenlandes – und spätestens seit Game of Thrones weltberühmt, wie ich mir sagen lasse.
Da aber mal wieder Regenschauer angekündigt sind, verschiebe ich das Abenteuer auf ein andermal und gehe rund um Bermeo auf Entdeckungstour. Zu Fuß folge ich der Bahnstrecke nach Mundaka und noch ein Stückchen weiter am Strand entlang.


Der Mündungstrichter, zu beiden Seiten von den für das Baskenland typischen grünen Hügeln begrenzt, zählt zum Biosphärenreservat Urdaibai. Bei Ebbe fällt er fast komplett trocken. Ein einzigartiger Naturraum, der ein wenig ans Wattenmeer erinnert – nur dass es hier statt Schlick gelben Sand gibt.
Als es dämmert, fahre ich vom Bahnhof Itsasbegi-Busturia zurück nach Bermeo. Lange warten muss ich nicht: Auch hier, in dieser ländlichen Gegend, fährt alle halbe Stunde ein Zug.
Bermeo – Bilbao
Mein letzter Tag im Baskenland beginnt mit Sonnenschein. Ich bleibe noch etwas in Bermeo, spaziere die Mole entlang ins Meer und gönne mir ein zweites Frühstück in einem der gemütlichen Cafés.

Von Bermeo gibt es eine durchgängige Euskotren-Linie nach Bilbao, ich muss also nicht umsteigen. Wieder geht es den Fluss entlang, diesmal bei Ebbe. Es scheint, als könne man über den Sand bis ans andere Ufer laufen – zumindest aber bis zur kleinen Insel, die Mundaka vorgelagert ist.
Auf den letzten Kilometern bleibt Zeit für ein Fazit. Auch wenn das Wetter nicht immer mitgespielt hat: Es waren tolle Tage im Baskenland. Eine faszinierende, im besten Sinne eigene Region – mit viel Natur, sehenswerten Städten und herzlichen Menschen. Und mit Euskotren gibt es einen Nahverkehr, der das Entdecken leicht macht: einfach, dicht getaktet und äußerst preiswert.
Wir erreichen Bilbao im unterirdischen Bahnhof Matiko. Als ich gerade zum Stadtrundgang aufbrechen will, fallen schon wieder dicke Tropfen vom Himmel. Ein kurzer Blick aufs Guggenheim-Museum ist noch drin, dann zieht es mich weiter.

Denn: In Bilbao endet meine Reise noch lange nicht. Von hier geht es auf schmaler Spur weiter – bis nach Galicien, den nordwestlichen Zipfel der iberischen Halbinsel. Aber das ist eine Geschichte, die ich euch ein anderes Mal in der Zugpost erzähle.
Praktische Tipps
Anreise
Hendaye ist direkt mit dem TGV aus Paris erreichbar. Eine Alternative bietet der Nachtzug Paris–Tarbes, der über Dax und teilweise auch über Bayonne verkehrt. Von dort gibt es Anschluss an den Regionalverkehr nach Hendaye.
Streckennetz
Das meterspurige Schmalspurnetz von Euskotren umfasst vier Hauptlinien, die als E1 bis E4 bezeichnet werden. Die wichtigsten Bahnhöfe sind Amara-Donostia in San Sebastián sowie Zazpikaleak/Casco Viejo (Altstadt) und Matiko (Endpunkt der Linien aus San Sebastián und Bermeo) in Bilbao.
Neben der Schmalspurbahn betreibt Euskotren auch die Linie 3 der Metro Bilbao sowie die Standseilbahn von Trapagaran.
Tickets
An jedem Bahnhof gibt es Ticketautomaten, an vielen auch einen Schalter. Die Fahrkarten sind günstig und werden nach Zonen berechnet. Eine Fahrt von San Sebastián nach Bilbao kostet zum Beispiel 7 Euro. Zusammen mit der SNCF wird zudem das Passbask-Ticket angeboten, das auch in den TER-Zügen zwischen Bayonne und Hendaye gilt.
Interrail ist in den Zügen von Euskotren nicht gültig.
Entdecken
Eine tolle Wanderung entlang der Küste ist die Ruta del Flysch zwischen Zumaia und Deba. Beide Endpunkte lassen sich bequem mit Euskotren erreichen. Wer zu Fuß von Bermeo nach Gaztelugatxe laufen möchte, findet hier einige Anregungen.
Von Bilbao lohnt sich ein Ausflug in die Küstenstadt Getxo. Dort befindet sich mit der Puente de Vizcaya die älteste Schwebefähre der Welt, die heute zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.
Museum
Zum Schluss noch ein Tipp von Tobias: Im Baskischen Eisenbahnmuseum in Azpeitia lassen sich viele alte Fahrzeuge von Euskotren bestaunen. Als besonderes Highlight werden am Wochenende Fahrten mit einem Dampfzug angeboten. Zum Museum fahren Busse aus Zumaia und Eibar.
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