Im Nachtzug nach Schweden reisen? Das könnte bereits im August 2022 Wirklichkeit werden. Bis dahin möchte die schwedische Regierung neue Nachtzüge auf den Strecken Stockholm–Hamburg und Malmö–Köln–Brüssel einrichten.
Mit seinen Nachtzug-Plänen reagiert Schweden auf das gewachsene Interesse, klimafreundlich zu reisen. Außerdem verfolgt das Land das Ziel, der erste fossilfreie Wohlfahrtsstaat der Welt zu werden. Für die Einrichtung der Nachtzüge stellt die Regierung umgerechnet knapp 40 Millionen Euro zur Verfügung. Es handelt sich um die größte Investition in ein Eisenbahnprojekt seit Jahrzehnten.
Bislang betreibt der private Anbieter Snälltåget mit seinem Nachtzug Stockholm–Berlin in den Sommermonaten die einzige direkte Zugverbindung zwischen Deutschland und Schweden. Im Sommer 2021 ist der Zug erstmals über seine neue Route durch Dänemark und über den Öresund unterwegs.
Trafikverket: Ab 2022 täglich im Nachtzug nach Schweden
Vorausgegangen war eine zweistufige Untersuchung der schwedischen Verkehrsbehörde Trafikverket. Im ersten Teilbericht wurde noch ein Nachtzug Malmö–Köln favorisiert. Der Abschlussbericht vom April 2020 schlug dann eine Verlängerung nach Brüssel vor, sowie die Einrichtung eines weiteren Nachtzuges von Stockholm über Kopenhagen nach Hamburg.
Im Gegensatz zum Snälltåget sollen die neuen Nachtzüge ganzjährig und täglich verkehren. Zur Zielgruppe dürften damit nicht nur Urlauber:innen, sondern auch Geschäftsreisende und Politiker:innen gehören.
Mit ihrem Millionenbetrag will die schwedische Regierung den Betrieb in den ersten vier bis sechs Jahren subventionieren. Die Subvention bezieht sich allerdings nur auf den Streckenanteil in Schweden und Dänemark, das deutsche System sieht ein solches Modell nicht vor. Innerhalb Deutschlands sollen die Nachtzüge daher kommerziell betrieben werden.
Nachtzug Stockholm–Hamburg
Strecke:
Stockholm – Linköping – Malmö – Kastrup – Hamburg
Fahrzeit:
ca. 11,5 Stunden
Betriebsstart:
bis 1. August 2022
Nachtzug Malmö–Brüssel
Strecke:
Malmö – Kopenhagen – Odense – Kolding – Köln – Aachen – Brüssel
Fahrzeit:
ca. 14 Stunden
Betriebsstart:
bis 1. August 2022
Chronologie der Ereignisse
31. März 2019
Die schwedische Regierung formuliert das Vorhaben, einen Nachtzugverkehr zwischen Schweden und dem europäischen Kontinent einzurichten. Dazu werden zunächst 5 Millionen Euro bereitgestellt.
11. Juli 2019
Die Verkehrsbehörde Trafikverket erhält von der Regierung den Auftrag, mögliche Nachtzugstrecken zu evaluieren. Erste Ergebnisse der Untersuchung sollen im Januar 2020 veröffentlicht werden, der Abschlussbericht im April 2020.
4. September 2019
Weitere 5 Millionen Euro werden von der schwedischen Regierung für den Zeitraum 2020–2022 bereitgestellt.
15. Januar 2020
Trafikverket legt seinen Teilbericht vor. Darin wird die Einrichtung eines Nachtzuges von Malmö nach Köln empfohlen. Je nach Ausschreibungsverfahren könne der Zug 2022 oder 2023 an den Start gehen. Nur auf Platz zwei in der Analyse landet ein möglicher Nachtzug Stockholm–Hamburg.
27. April 2020
Der Abschlussbericht der Nachtzug-Studie wird veröffentlicht. In der vertieften Analyse wird nunmehr ein Nachtzug Malmö–Köln–Brüssel favorisiert. Die Verlängerung nach Belgien sei zwar technisch komplex, aber durchführbar. Ebenfalls positiv evaluiert wird ein Nachtzug von Stockholm nach Hamburg.
23. Juli 2020
Die schwedische Regierung erteilt Trafikverket den Auftrag, bis spätestens August 2022 den Nachtzugverkehr auf den Strecken Malmö–Köln–Brüssel und Stockholm–Hamburg einzurichten.
22. April 2021
Snälltåget gibt bekannt, dass man sich an einer Ausschreibung der Nachtzüge nach Hamburg und Brüssel nicht beteiligen werde.
Schlaf- und Liegewagen dringend gesucht
Trafikverket hat nun die Aufgabe, einen geeigneten Betreiber für die Nachtzüge nach Hamburg und Brüssel zu finden. Naheliegende Kandidaten sind die staatliche SJ und der private Snälltåget. Beide haben Erfahrung mit dem Betrieb von Nachtzügen und verfügen über entsprechende Infrastruktur. Aber auch die ÖBB haben immer wieder Interesse gezeigt, ihr Nightjet-Netz nach Nordeuropa auszuweiten.
Oder macht am Ende ein ganz anderer das Rennen? Klar ist: Auf schwedische Schlaf- und Liegewagen wird er nicht zurückgreifen können. Diese sind wegen ihrer Übergröße nicht für das kontinentale Europa geeignet. Außerdem mangelt es ihnen an bestimmten technischen Einrichtungen, die für die Querung des Öresund, sowie des Großen Belt in Dänemark nötig sind.
„Es ist natürlich möglich, neue Züge zu bestellen, aber das braucht Zeit. Auf kurze Sicht empfehlen wir daher ein Verfahren, das auf einen Betreiber setzt, der die Fahrzeuge selbst zur Verfügung stellt“, sagt Anna Fällbom von Trafikverket.
Wer den Zuschlag erhält, wird also eigenes Rollmaterial mitbringen müssen. Oder auf dem Gebrauchtmarkt aktiv werden. In diesem Zusammenhang interessant: Im Oktober 2019 machte die Nachricht die Runde, dass die ÖBB den Markt nach gebrauchten Schlaf- und Liegewagen sondieren. Explizit gefragt wurde nach einer Zulassung für Dänemark und Schweden.
Kritik von Snälltåget
Während die Nachtzug-Pläne der schwedischen Regierung von der Öffentlichkeit weitgehend positiv aufgenommen wurden, gibt es Kritik aus der privaten Bahnwirtschaft. Diese richtet sich vor allem gegen das geplante Vergabeverfahren. „Die Direktvergabe ist der falsche Weg, wenn man es mit dem Ausbau der Nachtzüge wirklich ernst meint“, sagt Carl Adam Holmberg von Snälltåget.
Bei der Direktvergabe wird der Auftrag an eine bestimmtes Verkehrsunternehmen vergeben, ohne dass zuvor eine Ausschreibung erfolgt. Aus Sicht von Snälltåget torperdiere das den Wettbewerb auf der Schiene und führe zu einem Quasi-Monopol.
Snälltåget teilte unterdessen mit, dass man kein Interesse habe, die Nachtzüge nach Hamburg und Brüssel zu betreiben. „Snälltåget wird sich nicht an Trafikverkets Ausschreibung von Nachtzügen nach Europa beteiligen“, heißt es in einer Pressmitteilung vom 22. April 2021.
Die endgültige Entscheidung über den Betreiber der Nachtzüge Stockholm–Hamburg und Malmö–Brüssel wird im September 2021 erwartet.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf dem Blog „Train Tracks“ und ist bei der Zugpost archiviert.
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