Hallo Zugfans 👋

Nachfrage schafft Angebot, heißt es. Manchmal ist es aber genau umgekehrt: Es muss erst ein Angebot geben, damit sich die Nachfrage entwickeln kann – die dann eines Tages vielleicht sogar so groß wird, dass das Angebot ausgebaut werden muss.

Wenn das bei der Eisenbahn passiert, ist das natürlich eine super Sache. Weniger erfreulich ist es dagegen, wenn eine Bahn gegen den Trend ihr Angebot zurückfährt. Um beides geht es heute in der Zugschau.

In dieser Ausgabe:

  • Wie die neue Zugverbindung zwischen Vilnius, Riga und Tallinn dem Bus den Rang abläuft
  • Warum beim Nightjet wohl keine weiteren Verbindungen mehr dazukommen
  • Welches neue Angebot Interrail gerade testet

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Bahn boomt im Baltikum

Oranger Dieseltriebwagen vor weißem Bahnhofsgebäude
Zug der estnischen Bahn Elron am Grenzbahnhof Valga

Als ich vor zwei Jahren mit dem Zug durchs Baltikum fuhr, war das noch eine kleine Odyssee. Unter anderem ließ ich mich von einem Kleinbus auf einer verlassenen Sandstraße absetzen und lief zu Fuß über die Grenze zwischen Lettland und Litauen. Ein bisschen kam ich mir vor wie ein Geheimagent im Kalten Krieg.

Seitdem ist einiges passiert.

Nach langem gegenseitigen Ignorieren haben sich die Eisenbahnen von Estland, Lettland und Litauen zusammengerauft und eine koordinierte Verbindung zwischen Tallinn, Riga und Vilnius geschaffen. Nun lässt sich das komplette Baltikum an einem Tag durchqueren, mit nur noch einem gesicherten Umstieg in Valga an der estnisch-lettischen Grenze.

Und siehe da: Die im Januar eingeführte Verbindung ist ein Hit. Schon ab dem ersten Betriebstag war der Andrang auf die Züge riesig. Teilweise ist es schwierig, überhaupt noch ein Ticket oder eine Interrail-Reservierung zu ergattern. Gleichzeitig ging die Verkaufszahl der Busfahrkarten auf der Strecke deutlich zurück, nämlich um mehr als 25 Prozent.

Bei der estnischen Bahn Elron gibt man sich überrascht. Ein Vorstand sagte dem Estnischen Rundfunk:

Interessant ist, dass wir anfangs skeptisch waren und uns gefragt haben, ob die Leute überhaupt nach Vilnius fahren wollen. Überraschenderweise sind dann viele die gesamte Strecke gefahren.

Es zeigt sich: Während manche noch im Buszeitalter festhängen, haben die Reisenden längst mit den Füßen abgestimmt. In Estland, Lettland und Litauen war der Fernbus nach der Wende das bevorzugte Verkehrsmittel, die Bahn dagegen wurde lange vernachlässigt. Doch wer steigt heute noch freiwillig in den Bus, wenn der Zug genauso viel kostet und ähnlich lange braucht?

Elron denkt nun darüber nach, das Angebot auszubauen. Zumindest im Abschnitt Tallinn–Riga soll bald ein weiterer Zug fahren:

In naher Zukunft wird freitags bis sonntags eine zusätzliche Verbindung nach Riga angeboten, dann gibt es zwei Fahrten pro Tag. Auf dem Rückweg bleibt es aber vorerst bei einer Verbindung, wegen laufender Bauarbeiten an der Strecke.

Außerdem könnten demnächst zusätzliche Verbindungen von Polen nach Kaunas und Vilnius hinzukommen. Es sind gute Zeiten für das Zugreisen im Baltikum – und das ganz ohne das lahmende Megaprojekt Rail Baltica.

Zugschau: Rail Baltica auf wackeligen Gleisen
Im Nordosten Europas entsteht gerade ein gewaltiges Eisenbahnprojekt: die Rail Baltica. Nur sieht man davon noch viel zu wenig. Was ist da los?

Egal, ob einen das Baltikum nun interessiert oder nicht, stecken in dieser Geschichte zwei Botschaften. Erstens: Wenn das Angebot stimmt, steigen selbst Menschen, die das Bahnfahren fast verlernt hatten, wieder auf den Zug um.

Und zweitens: Wenn Staatsbahnen zusammenarbeiten statt sich zu bekriegen, kommt mehr dabei heraus. Grüße an dieser Stelle nach Frankreich und Spanien.


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Rolle rückwärts beim Nightjet

Neuer Nightjet am Bahnhof Hamburg-Harburg
Vom neuen Nightjet werden weniger Züge gebaut

Auch die ÖBB wollten den Leuten Züge geben. Genauer gesagt: Nachtzüge. 33 Garnituren des neuen Nightjet hatte man bei Siemens bestellt, ein großer Wurf für Europas Nachtzugverkehr.

Doch nun wurde bekannt: Der Auftrag wird auf 24 Züge reduziert. Stattdessen sollen mehr Railjets der zweiten Generation für den Tagesverkehr gebaut werden. Kurz darauf der nächste Dämpfer: Die ÖBB haben auch die Ausschreibung zur Modernisierung von 30 Liegewagen gestoppt.

Damit dürfte klar sein: Einen weiteren Ausbau des Nightjet-Netzes wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Die einst ambitionierten Pläne haben ihre Endausbaustufe erreicht.

Versteht mich nicht falsch: Die ÖBB verdienen Respekt. Sie haben geliefert, als sonst kaum jemand noch an den Nachtzug glaubte. Während andere Bahnunternehmen sich zurückzogen, haben die Österreicher investiert.

Aber ich habe die ÖBB immer als das gesehen, was sie sind: eine vergleichsweise kleine Bahn, die macht, was sie kann – aber eben nicht mehr. Für andere war sie dagegen eine Art Heilsbringer. Die Geschichte vom mutigen David, der Europas Nachtzüge im Alleingang rettet, war vielleicht zu schön.

Das rächt sich nun. Wer alles auf eine Karte setzt, in diesem Fall den Nightjet, steht ziemlich blank da, wenn die ÖBB den Daumen über einen weiteren Ausbau senken. Das ist noch keine Abkehr vom Nachtzuggeschäft, aber ein deutlicher Rückschlag.

Es ist allerhöchste Zeit, darüber nachzudenken, wie sich ein leistungsfähiges europäisches Nachtzugnetz auf die Schiene bringen lässt – ohne sich dabei zu stark von einem einzelnen Akteur abhängig zu machen.


Kurzstrecke 💬

Was gibt es Neues auf Europas Gleisen? Worüber spricht die Zugreise-Community? Das Wichtigste in der Kurzstrecke!

Interrail: Neuer Plus-Pass

Das Nervigste an Interrail? Die Reservierungen! Das scheint man nun auch bei Interrail selbst eingesehen zu haben und testet einen neuen Global-Pass, bei dem Sitzplatzreservierungen inklusive sind. Aber natürlich gibt es einen Haken, und natürlich betrifft er den Eurostar und die SNCF: Hier darf man nur eine begrenzte Anzahl Züge pro Pass reservieren. Der sogenannte Plus-Pass ist zunächst nur mit 7 Reisetagen erhältlich und kostet etwa 100 Euro mehr als der herkömmliche Pass.

Der Ofen bleibt an (ein bisschen)

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten: Wie die Tschechische Bahn mitteilt, bleibt der klassische Speisewagen („Knödelexpress“, siehe oben) auf drei Zugpaaren zwischen Berlin und Prag auch über den Sommer hinaus erhalten. Das endgültige Aus war eigentlich für Juli geplant. Es handelt sich aber nur um eine kurze Gnadenfrist: Spätestens mit dem Fahrplanwechsel im Dezember dürften auch diese Züge auf die neuen Bistros umgestellt werden.

Zugschau: Lasst den Ofen an!
Eine Zugreise ohne Speisewagen? Keine schöne Idee. Und vielleicht noch nicht mal ein gutes Geschäft, denn Züge sind mehr als die Summe ihrer Einzelteile.

Norwegen: Raumabahn gesperrt

Ein Erdrutsch hat die Raumabahn in Norwegen an zwei Stellen schwer beschädigt. Der Zugverkehr zwischen Dombås und Åndalsnes ist bis mindestens Ende August eingestellt, es fahren Ersatzbusse. Die Raumabahn gilt als eine der spektakulärsten Bahnstrecken des Landes und ist besonders bei Kreuzfahrtreisenden beliebt. Norwegens Bahnnetz bleibt damit stark gefordert. Zuletzt waren auch die Dovrebahn und die Nordlandbahn infolge von Unwettern und Unglücken längere Zeit außer Betrieb.

Fehmarnbelt-Querung verspätet sich

Die Hinterlandanbindung für die Fehmarnbelt-Querung verzögert sich auf deutscher Seite um bis zu drei Jahre. Das Eisenbahn-Bundesamt rechnet inzwischen mit einer Bauzeit von 6,5 Jahren. Der bislang angepeilte Eröffnungstermin 2029 ist damit nicht mehr zu halten, mit der Fertigstellung ist nun erst Mitte 2032 zu rechnen. Die neue Verbindung zwischen Deutschland und Dänemark gilt als potenzieller Gamechanger für den Schienenverkehr nach Nordeuropa und wird vor allem von dänischer Seite vorangetrieben.


Schienenmoment 🚞

Fotos, Geschichten, Augenblicke – eure schönsten Eindrücke von unterwegs.

Tram mit Schubwagen auf Steilstrecke

„Sie fahren wieder“, schrieb mir Michael – und meinte damit die berühmte Tram zwischen Triest und Opicina an der italienisch-slowenischen Grenze. Nach einem Unfall stand der Betrieb neun Jahre still, seit Februar wird die rund fünf Kilometer lange Schmalspurbahn wieder im 20-Minuten-Takt befahren.

Zur kurzen, aber eindrücklichen Fahrt schreibt Michael:

Die Besonderheit dieser Strecke ist, dass zwischen dem Piazza Casali und Vetta Scorcola ein Standseilbahn-Abschnitt existiert. Die Trams werden dort von einem Schubwagen die Steigung von 26 % hinaufgeschoben bzw. in der Gegenrichtung hinuntergebremst. Während der Fahrt bieten sich wunderbare Blicke auf die Innenstadt von Triest und die davor liegende Meeresbucht.
An der Haltestelle Obelisko befindet sich eine Aussichtsterrasse, so dass man die Fahrt hier unterbrechen sollte. An der Endhaltestelle nahe dem Stadtzentrum ist der Betriebshof untergebracht. Am Bahnsteig gibt es auch ein nettes Café, die „Bar alla Tramvia“.

Vielen Dank für diese Eindrücke, lieber Michael!

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Ende der Linie 🚉

Das war die 56. Ausgabe der Zugschau – der rollende Nachrichtenblick der Zugpost. Hat es euch gefallen? Dann empfehlt die Zugpost gerne weiter!

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