Neulich bin ich mal wieder Nightjet gefahren. Es war eine gute Fahrt. Schon als am Bahnhof Hamburg-Altona mein Liegewagen nach Zürich an den Bahnsteig heranrollte, machte mein Nachtzugherz einen Hüpfer. Wider Erwarten war es nämlich kein in die Jahre gekommenes Modell aus Altbeständen der Deutschen Bahn, sondern ein „Liegewagen comfort“, wie die ÖBB es nennen.

Diese Wagen wurden unlängst aus Sitzwagen umgebaut. Die Inneneinrichtung ist topmodern und vergleichbar mit den brandneuen Nightjets, die seit dem Fahrplanwechsel im Dezember auf einigen Strecken verkehren. Und das ist wirklich gelungen. Neueste Ausstattung, frisches Design, tolle Beleuchtung – ich war begeistert, endlich zeitgemäßes Nachtzug-Rollmaterial in Mitteleuropa zu erleben.

Die positiven Vibes setzten sich fort, als am Hauptbahnhof meine drei Abteilgenossen zustiegen. Wir verstanden uns auf Anhieb und bildeten im besten Sinne eine kleine Gemeinschaft auf Zeit. Noch lange saßen wir auf unseren Liegen und quatschten über Nachtzüge, das Reisen und den ganzen Rest. Wir waren uns einig: Mit den aufgemöbelten Liegewagen haben die ÖBB einen guten Job gemacht.

Und doch bleibt von der Fahrt ein bitterer Nachgeschmack.

Was war passiert? Ein wenig stutzig wurde ich schon bei der Ticketkontrolle. Ob ich nicht schon in Basel aussteigen wollte? Von dort könnte ich in einen anderen Zug nach Zürich steigen, das ginge schneller. Nein, nein, sagte ich, ich habe extra bis Zürich gebucht. Nach einer langen Reise, die bereits am Tag zuvor in Finnland begonnen hatte, wollte ich ausschlafen und in Ruhe frühstücken.

Tablett mit Kaffee, Brötchen und Aufstrich
Frühstück im „Liegewagen comfort“

Das Frühstück kam dann um kurz vor 7 Uhr, bis Zürich waren es noch drei Stunden. Für meine Mitreisenden war es passend, sie würden in Basel aussteigen. Doch auch ich bekam das Tablett mit zwei Brötchen und einem Kaffee vor die Nase gehalten. Gut, dachte ich, ich kann mich hinterher ja noch mal umdrehen. Aber auch daraus wurde nichts: Wenig später wurde die Bettwäsche eingesammelt, und ich saß den Rest der Fahrt etwas bedröppelt im nackten Abteil.

Zuhause auf Zeit

Dieses kleine Erlebnis ließ mich über das Thema Gastlichkeit im Nachtzug nachdenken. Nachtzüge sind mehr als nur ein Transportmittel, das einen von einem Ort zum anderen bringt. Ein Nachtzug ist ein Zuhause auf Zeit. Und zuhause will man sich vor allem eins: wohlfühlen.

Vor 150 Jahren, als die ersten Nachtzüge durch Europa rollten, war das mit dem Wohlfühlen noch kein Problem. Luxuriöse Züge wie der Orient-Express kommen einem in den Sinn. Schlafwagen aus Teakholz und Samt. Und Kondukteure, die ihren Gästen jeden Wunsch von den Lippen ablasen. Natürlich musste man sich dieses Vergnügen leisten können. Aber das galt für das Reisen insgesamt, das in jener Zeit einem kleinen, privilegierten Kreis vorbehalten war.

Als die Reichen und Schönen sich dem Jetset zuwandten und künftig zu ihren Tummelplätzen vor allem einflogen, setzte eine Demokratisierung des Nachtzuges ein. Großen Anteil daran hatten die Liegewagen, die in den 1950er Jahren aufkamen und mit ihren einfachen 4er- und 6er-Abteilen breiteren Bevölkerungsschichten eine Zugreise über Nacht ermöglichten. Nachtzüge hatten bald auch ganz andere Aufgaben, brachten etwa zur Zeit des Wirtschaftswunders sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland. Komfort war da Nebensache.

Kulturelle Unterschiede

Heutige Nachtzüge pendeln irgendwo zwischen diesen Polen. Klar ist: Das Reisen im Schlaf bleibt ein Kompromiss. Es wird immer Wege geben, schneller ans Ziel zu kommen. Und selbstverständlich schläft man in der Regel besser in einem Bett, das nicht ständig bremst und über Weichen fährt. Aber dafür wacht man eben auch nicht am nächsten Morgen am Polarkreis oder in den Pyrenäen auf.

Wie dieser Kompromiss ausgestaltet wird, da haben Europas Eisenbahnen ganz verschiedene Ansätze. Auch kulturelle Unterschiede spielen dabei eine Rolle. In den nordischen Ländern etwa stehen Schlafwagen hoch im Kurs. Hier reist man in der Regel allein im Abteil oder mit seiner Familie. Verpönt ist es dagegen, sich bedienen zu lassen. Frühstück am Bett gibt es nicht. Dafür führt praktisch jeder Nachtzug einen Speisewagen. Wer Hunger hat oder Durst oder abends noch gemütlich zusammensitzen möchte, findet hier einen Ort.

Britische Höflichkeit lässt sich Night Riviera Sleeper nach Cornwall erleben. Undenkbar, dass einem hier am Morgen die Bettdecke weggezogen wird. Stattdessen steht der Nachtzug sogar noch zwei Stunden am Zielbahnhof, um Fahrgästen das Ausschlafen zu ermöglichen. Und wenn man dann am Bahnhof Paddington noch auf einen Tee in der historischen Lounge von Queen Victoria vorbeischauen darf, fühlt man sich als Gast im wahrsten Sinne des Wortes geadelt.

Bahnhofsuhr aus dem Fenster im Schlafwagen
Aufwachen am Bahnhof London Paddington

Aber ein gutes, stimmiges Nachtzug-Konzept muss nicht im hohen Komfortbereich angesiedelt sein. Das erlebte ich wenig später beim Intercités de nuit in Frankreich. Hier gibt es ausschließlich Liegewagen, man teilt das Abteil in der Regel mit Fremden. Klassenfahrt-Gefühle statt Individualismus.

Das ist gewiss nicht jedermanns Sache, aber: Die inzwischen modernisierten Liegewagen sind ausgesprochen gut, vielleicht die besten Europas. Wer mag, kann morgens beim Zugteam ein kleines Frühstück bekommen. Und fährt man 1. Klasse, darf man morgens am Bahnhof sogar duschen. Kurzum, hier hat sich jemand Gedanken gemacht, wie man aus den gegebenen Umständen das Beste herausholt. Auch der Preis stimmt. Nirgendwo sonst in Europa lässt sich so günstig mit dem Nachtzug fahren wie in Frankreich.

Sicher, es ist nicht absolut notwendig, einen Speisewagen mitzuführen, Rücksicht auf Langschläfer zu nehmen oder am Morgen eine Duschmöglichkeit zu organisieren. Aber es sind diese kleinen Dinge, die mir als Reisendem in Erinnerung bleiben. Die mich vom Fahrgast zum Fan machen. Und die ganz nebenbei auch dazu führen, dass ich den Nachtzug meinen Freunden empfehlen würde.

Fahrgast first

Das bringt mich zurück zu meiner Fahrt im Nightjet. Versteht mich nicht falsch, dies soll nicht das übliche Nightjet-Bashing sein. Über die ständigen Wagenausfälle, die saftigen Preiserhöhungen und den medialen Hype rund um die ÖBB-Nachtzüge wurde anderswo genug geschrieben.

Im Gegenteil, mit ihren modernen Wagen machen die ÖBB eigentlich alles richtig. Sie haben viel Geld in die Hand genommen und die Grundlage für fantastische Nachtzugfahrten geschaffen. Umso ärgerlicher ist es, dass ich hinterher nur über das erzähle, was mir nicht gefallen hat. Weil es eben an einer entscheidenden Zutat fehlte: Gastlichkeit. Und das ist mehr als Steckdosen und WLAN.

Ich mache dem Personal an Bord keinen Vorwurf. Sie machen ihren Job, und der ist hart. Es ist kein Geheimnis, dass die ÖBB den Service an einen externen Dienstleister ausgelagert haben, die Arbeitsbedingungen sind kein Traum. Nein, das Problem scheint systematisch zu sein. In Basel beobachtete ich, wie Teile des Zugteams von Bord gingen, vermutlich mit dem Auftrag, vorher in ihren Schlaf- und Liegewagen klar Schiff zu machen. Hier hat sich also in der Planung jemand entweder keine Gedanken gemacht oder, noch schlimmer, die Belange der Fahrgäste ignoriert. Auf anderen Linien wird es ähnlich gehandhabt, wie mir Zugfans berichteten.

Es ist schade und auch irgendwie unnötig, dass man mit dem letzten Eindruck das einreißt, was man sich vorher mühsam aufgebaut hat. Aber hier kommt die gute Nachricht: Es besser zu machen, kostet fast nichts. Alles, was es braucht, ist das richtige Mindset, wie man heute sagt. Den Fahrgast in den Mittelpunkt zu stellen. Sich klar zu werden, dass er eben Gast ist – und dass das im Nachtzug etwas anderes bedeutet als im ICE von Hamburg nach Berlin.

Ich bin mir sicher, mit ein bisschen gutem Willen kann aus einer guten wieder eine sehr gute Nachtzugfahrt werden.


Was sind eure Gedanken zum Thema Gastlichkeit im Nachtzug? Ist euch das wichtig? Oder wollt ihr einfach nur ans Ziel kommen? Teilt eure Meinung gerne in einem Kommentar!