Jedes Jahr ernennt die Europäische Union eine oder mehrere Städte in Europa zur Kulturhauptstadt. Damit soll die kulturelle Vielfalt Europas herausgestellt und die europäische Einheit gestärkt werden. Da im vierzigsten Jahr der Initiative die Hauptstädte und andere Top-Destinationen längst durch sind, sind es nun oft weniger bekannte Orte, die ausgewählt werden. Egal, ob ihr Kulturfan seid oder nicht – der Titel Kulturhauptstadt ist immer ein schöner Anlass, neue Ziele abseits der großen Touristenströme zu entdecken.
In 2024 dürfen sich diese drei Städte und Regionen über die Auszeichnung als Kulturhauptstadt freuen: Bad Ischl und das Salzkammergut in Österreich, Bodø in Norwegen und Tartu in Estland. Alle drei haben nicht nur ein spannendes Programm für 2024 auf die Beine gestellt, sondern ihr Besuch lässt auch ganz wunderbar mit einer Zugreise verbinden. Wie die Anreise per Bahn klappt und was die Kulturhauptstädte sonst noch zu bieten haben, lest ihr in diesem Artikel.
1. Bad Ischl: Perle im Salzkammergut
Mit Bad Ischl und dem Salzkammergut geht die EU neue Wege und zeichnet erstmals eine ländliche Region als Kulturhauptstadt aus. Eigentlich überfällig, lebt doch etwa die Hälfe der Menschen in Europa auf dem Land. Und das Salzkammergut, mitten im Herzen Österreichs, ist ein besonders schöner Flecken. Kein Wunder, dass seine kristallklaren Seen, umrahmt vom Bergpanorama, schon Kaiser Franz Joseph und seine Sisi in den Bann zogen. Immer wieder kamen sie zur Sommerfrische nach Bad Ischl.
Kultur ist das neue Salz
Seit jeher sind Wasser und Salz die prägenden Elemente der Region. Sie brachten Wohlstand und machten Bad Ischl zu einem Kurort von europäischem Rang. Nun haben sich die 23 Gemeinden im Salzkammergut zu einer einmaligen Kulturregion zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie Bewährtes erhalten, aber auch neue Wege für die Zukunft erkunden. Kultur als das „neue Salz“ soll dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne spiegelt auch das Programmbuch wider, was über 300 Projekte im gesamten Salzkammergut verzeichnet. Operette trifft dort auf Clubkonzert oder lokale Küche auf spannende Gastro-Konzepte wie dem Wirtshauslabor. Das alles findet statt in einer bezaubernden Naturkulisse, die nach dem Kulturprogramm zur Erkundung einlädt – etwa auf einer Bootsfahrt auf dem Wolfgangsee oder einer Wanderung durch die Berge.
Aus Eisenbahnsicht interessant: Zwölf ehemalige Bahnhöfe im Salzkammergut öffnen 2024 als Kulturbahnhöfe wieder ihre Türen. Überhaupt bilden Mobilität und Tourismus unter dem Schlagwort „Die Kunst des Reisens“ eine von vier Themenlinien im Programm. Dabei fehlen auch kritische Töne nicht, so werden etwa die zunehmenden Probleme durch Übertourismus und Naturzerstörung in den Alpen thematisiert.
Bad Ischl mit dem Zug
Der Bahnhof Bad Ischl liegt an der Salzkammergutbahn, die die Region von Nord nach Süd erschließt. In Attnang-Puchheim besteht Anschluss an den Fernverkehr nach Wien, Linz, Salzburg und München. Der südliche Endpunkt der Strecke ist Stainach-Irdning in der Steiermark, von wo es Züge nach Graz sowie in Richtung Innsbruck und Zürich gibt. Besonders bequem erreicht ihr Bad Ischl mit dem direkten Intercity „Salzkammergut“ ab Wien. Die Fahrzeiten eignen sich perfekt für einen Tagesausflug.
Ein Schmankerl für Zugfans ist die Schafbergbahn. Die meterspurige Zahnradbahn führt von St. Wolfgang auf den 1783 Meter hohen Schafberg. Umgeben von Wolfgangsee, Mondsee und Attersee, bietet sich von der Schafbergspitze ein wunderschöner Panoramablick über die Seenlandschaft des nordwestlichen Salzkammerguts. Die Schafbergbahn gilt als steilste Zahnradbahn Österreichs. Bei geeigneter Schneelage startet der Betrieb Anfang März (mehr Infos).
Ort:
Bad Ischl, Österreich
Eröffnung:
20. Januar 2024
Mehr erfahren:
salzkammergut-2024.at
2. Bodø: Kultur über dem Polarkreis
Eine Premiere ist auch die Ernennung von Bodø zur Kulturhauptstadt: Mit der Stadt in Nordnorwegen geht der Titel zum ersten Mal an einen Ort oberhalb des Polarkreises. Das junge Bodø mag zwar ein wenig unscheinbar wirken, dafür weiß die Landschaft am arktischen Meer umso mehr zu begeistern. Und: Die Zugfahrt nach Bodø über die spektakuläre Nordlandbahn zählt zu den großen Bahnabenteuern in Europa.
Lichtspektakel am Fjord
Mit 50.000 Einwohnern ist Bodø die größte Stadt der norwegischen Provinz Nordland. Mitte des 19. Jahrhunderts noch ein winziges Dorf, brachte der Fischfang einen raschen Aufschwung. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt durch deutsche Bombardements fast vollständig zerstört und danach im nüchternen und funktionalen Stil wiederaufgebaut. Heute gilt die Mini-Metropole am Meer als lebenswert und hip, die Universität zieht junge Menschen aus ganz Norwegen an.
Und doch ist es die Natur, wegen der die meisten Besucher kommen. Besonders faszinieren dabei zwei Lichtphänomene, die sich in Bodø beobachten lassen: Die Mitternachtssonne, die im Sommer der ganzen Stadt einen Energieschub gibt. Und natürlich das Nordlicht, das vor allem von Januar bis März regelmäßig über den Fjord tanzt. Übrigens: Wer zur Jagd auf die Polarlichter nach Bodø kommt, kann die ganz dicken Wintersachen zu Hause lassen – der Golfstrom macht Bodø zu einem der mildesten Orte überhaupt im Nordlicht-Gürtel.
Natur und Nachhaltigkeit sind auch die Themen, mit denen Bodø als Kulturhauptstadt punkten möchte. Aber auch klassische Kultur kommt nicht zu kurz. Das offizielle Programm umfasst mehr als tausend Konzerte, Kunstausstellungen und andere Veranstaltungen in der gesamten Region. Weitere Schwerpunkte sind die Kultur der Samen, der indigenen Bevölkerung des Nordens, sowie arktische Lebensart und Küche.
Bodø mit dem Zug
Bodø ist Endpunkt der Nordlandbahn, eine von vier Bahnstrecken außerhalb Russlands, auf denen sich der Polarkreis mit dem Zug überqueren lässt. Und das äußerst spektakulär: Die Fahrt führt über das wilde Saltfjellet, wo man sich der Arktis nah fühlen kann wie kaum anderswo in Europa. Die Nordlandbahn startet in Trondheim und ist 729 km lang. Die Gesamtstrecke wird täglich von einem Zug über Tag sowie einem Nachtzug mit Schlafwagen befahren. Tickets gibt es auf entur.no. Nach Trondheim geht es mit dem Zug entweder von Oslo oder über die Bahnstrecke Storlien–Trondheim aus Schweden.
Nachfolgend einige Eindrücke der beeindruckenden Fahrt, die uns Zugpost-Leser Dominic zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank!
Unbedingt empfehlenswert ist auch ein Abstecher mit der Fähre von Bodø auf die Lofoten. Wer mag, kann mit dem Bus einmal über die gesamte Inselgruppe bis nach Narvik fahren, spektakuläre Aussichten inklusive. In Narvik besteht Anschluss an den Nachtzug nach Stockholm – perfekt für die ganz große Rundreise durch Skandinavien.
Ort:
Bodø, Norwegen
Eröffnung:
3. Februar 2024
Mehr erfahren:
bodo2024.no
3. Tartu: Estlands Herz und Seele
Nicht Tallinn, sondern Tartu gilt als kulturelles und geistiges Zentrum Estlands. Kaum eine Stadt im Ostseeraum kann auf eine so lange Geschichte zurückblicken. Und doch sprudelt Tartu nur so vor Leben: Altstadt und Uni-Campus sind praktisch deckungsgleich, es gibt eine lebendige intellektuelle und kreative Szene. National Geographic setzte Tartu gar auf seine Liste der „coolsten Städte“ in 2024. Und das Beste: Nach jahrelanger Unterbrechung ist Tartu endlich wieder komplett mit dem Zug aus Mitteleuropa zu erreichen.
Unistadt durch und durch
Ob Schweden, Deutsche, oder Russen – im Laufe seiner tausendjährigen Geschichte hat Tartu einige Herrscher kommen und gehen sehen. Den wohl größten Fußabdruck hinterließ Schwedenkönig Gustav II. Adolf, als er 1632 in Tartu eine der ersten Universitäten Nordeuropas gründete. Die Uni prägt seitdem das Leben in der Stadt am Fluss Emajõgi wie nirgendwo sonst im Baltikum. Wer durch die Altstadtgassen von Tartu schlendert oder in einem der vielen studentischen Cafés am Fuße des Dombergs sitzt, könnte sich an Heidelberg erinnert fühlen.
Als Kulturhauptstadt hat sich Tartu mit umliegenden Gemeinden im Süden von Estland zusammengetan. Das künstlerische Programm steht unter dem Motto „Arts of Survival“. Gemeint ist damit das Überleben in einer Welt, die zunehmend durch den Klimawandel und daraus resultierenden Konflikten bedroht ist. Wie auch unter diesen Bedingungen ein gutes, kulturell reichhaltiges Leben gelingen kann, möchte Tartu 2024 ausloten. Einige der nachhaltigen Konzepte sollen direkt zum Einsatz kommen, etwa wenn im Sommer die Superstars Bryan Adams und Sting für Open-Air-Konzerte in Tartu vorbeischauen.
Tartu mit dem Zug
Seit dem 27. Dezember 2023 ist Tartu wieder komplett mit dem Zug aus dem deutschsprachigen Raum zu erreichen. Dann nämlich nahm die litauische Bahn den Zugbetrieb zwischen Litauen und Lettland wieder auf und schloss damit die größte Lücke im baltischen Bahnverkehr. Eine Zugreise nach Tartu benötigt zwar immer noch mehrere Tage, ist durch spannende Zwischenstationen entlang des Weges aber ein äußerst empfehlenswertes Unterfangen.
Die Route führt über Warschau, Vilnius und Riga. Die letzte Etappe von Riga nach Tartu enthält aktuell noch einen Umstieg in Valga an der lettisch-estnischen Grenze, ein Direktzug ist aber in Planung. Achtung: Die Fahrpläne der baltischen Eisenbahnen sind nicht oder nur lückenhaft in den Auskunftsmedien von Deutscher Bahn, ÖBB und SBB enthalten. Mehr zur Planung einer Zugreise im Baltikum erfahrt ihr hier: Ohne Bus durchs Baltikum: Bahnreisen in Estland, Lettland und Litauen.
Richtung Norden ist Tartu gut an den estnische Hauptstadt Tallinn angeschlossen. Estlands Eisenbahn ist modern, preiswert und zuverlässig. Von Tallinn aus könnte es mit der Fähre weiter nach Helsinki gehen.
Ort:
Tartu, Estland
Eröffnung:
26. Januar 2024
Mehr erfahren:
tartu2024.ee
Ausblick auf 2025: Chemnitz und Nova Gorica
Im kommenden Jahr ist nach dem gültigen Rotationsprinzip wieder Deutschland mit einer Kulturhauptstadt an der Reihe. Nach West-Berlin 1988, Weimar 1999 und Essen 2010 wird Chemnitz als ingesamt vierte deutsche Stadt 2025 diesen Titel tragen. Eisenbahntechnisch eine kleine Kuriosität, war Chemnitz doch bis vor Kurzem die größte Stadt in Deutschland ohne Anschluss an den schienengebunden Fernverkehr.
Auch die andere Kulturhauptstadt 2025, Nova Gorica in Slowenien, ist aus Eisenbahnsicht interessant. Unmittelbar an der Grenze zu Italien gelegen, bildet Nova Gorica zusammen mit dem italienischen Gorizia eine Doppelstadt. Beide sind zwar mit einem Schienenstrang verbunden, Züge fahren jedoch nicht über die Grenze. Hier böte sich die Möglichkeit, als Kulturhauptstadt ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten im grenzüberschreitenden Zugverkehr in Europa zu werfen.
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