Es ist kompliziert geworden in Schwedens Nachtzugnetz. In den ganz hohen Norden, nach Kiruna und Narvik, fährt inzwischen die norwegische Bahn Vy. Zwischen Stockholm und Berlin duelliert sich die die schwedische Staatsbahn SJ mit dem privaten Snälltåget. Und dann betreibt die SJ noch eine ganze Reihe von Verbindungen innerhalb Schwedens.

Ein solcher Nachtzug verbindet Stockholm und Göteborg mit der Universitätsstadt Umeå am Bottnischen Meerbusen. Umeå, die Stadt der Birken, liegt viele Hundert Kilometer nördlich von Stockholm. Aber immer noch weit, weit entfernt vom richtigen Norden. Schweden ist ein großes, vor allem langes Land, und in diesem Nachtzug lässt sich ein gutes Stück davon erfahren. Ich nutze ihn auf dem Weg von Umeå nach Göteborg. Einmal quer durch Schweden, fast 1100 Kilometer Strecke.

Ein Oldie in Umeå

Umeå empfängt mich in einem zarten Grün. Es ist Frühsommer, die Birken, die die schachbrettartigen Straßen säumen, sind gerade ausgeschlagen. Nach einem langen Winter bringen sie die Farbe zurück.

Ich bin mit der Fähre von Vaasa nach Umeå gekommen, ein Bus brachte mich ins Stadtzentrum. Auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof, Umeå Centralstation, scheinen Flammen aus dem Boden zu schlagen. Eine Glasskulptur, 45 Tonnen schwer und bei ihrer Errichtung die größte der Welt. Um sie herum tapst eine kleine Möwe, ansonsten ist wenig los an diesem Mittwochabend.

Glasskulptur vor dem Hauptbahnhof von Umeå

Um 19.20 Uhr, gut zehn Minuten vor Abfahrt, rollt der Nachtzug am Hausbahnsteig ein. Mein Schlafwagen nach Göteborg befindet sich direkt hinter der Lok. Wagen 33 – Wellblech-Optik, hellblaue Bauchbinde – ist ein echter Oldtimer. Gebaut wurden die Schlafwagen dieser Baureihe in den 1960er Jahren, fast alle sind noch heute im planmäßigen Einsatz. Innen erwartet mich echter Retro-Charme. Die Fenster lassen sich öffnen und sind in Echtholz eingefasst. Auch im Abteil bestimmen wertige Materialien das Bild: Holz, Metall, ein Waschbecken aus Porzellan.

Was Nachtzug und Interrail betrifft, ist Schweden wirklich vorbildlich

Ich reise mit Interrail und habe das obere Bett in einem Dreier-Abteil gebucht. Die Reservierung kostet umgerechnet 32 Euro, die Buchung ist einfach online auf der Website der SJ möglich. Was Nachtzug und Interrail betrifft, ist Schweden wirklich vorbildlich.

Nachtzug am Bahnsteig in Umeå
Schlafwagen von außen

Es folgen die spannenden Momente, die jeder kennt, der schon mal ein geteiltes Abteil im Nachtzug gebucht hat. Mit wem werde ich die Nacht verbringen? Oder habe ich Glück und bleibe allein?

Zunächst sieht es so aus, im Zug herrscht gähnende Leere. Doch dann stapfen kurz vor der Abfahrt doch noch zwei Männer zielgerichtet auf mein Abteil in der Wagenmitte zu. Die meisten Schlafabteile um uns herum werden leer bleiben auf dieser Fahrt, doch wir drängen uns zu dritt in unserem Kämmerlein. You get what you pay for.

Gang im Schlafwagen
Schlafwagenabteil in Tagstellung

Schnell ist klar: Das wird keine dieser Nachtzufahrten, auf der Freundschaften fürs Leben geschlossen werden. Oder zumindest interessante Geschichten ausgetauscht. Der eine widmet sich seinem Handy, der andere ist bald ins Nachbarabteil verschwunden, wo seine Begleiterinnen untergekommen sind. Schlafwagenabteile werden in Schweden nach Geschlecht getrennt vergeben.

Rennbahn am Meer

Der junge Zugbegleiter kommt vorbei und wirft wie üblich nur einen Blick die Reservierung. Wir halten noch kurz in Umeå Östra, dem anderen Bahnhof im Stadtgebiet, dann geht es auf die Botniabahn. Die Neubaustrecke ist seit 2010 in Betrieb und erlaubt Geschwindigkeiten bis zu 250 Stundenkilometern. Ganz so schnell geht es für uns nicht, der Schlafwagen ist für maximal 160 zugelassen.

Zwei Dinge sind bemerkenswert an der Fahrt entlang des Bottnischen Meerbusens. Zum einen ist da der Bahnhof von Örnsköldsvik, dessen nördlicher Bahnsteigbereich den Auslauf einer der größten Skisprungschanzen Schwedens überspannt. Eine Konstruktion, die so wohl einmalig auf der Welt sein dürfte.

Högakustenbron

Und dann ist da noch die majestätische Högakustenbron, die in schwindelnder Höhe die Mündung des Flusses Ångermanälven überbrückt. Wie bei der Golden Gate Bridge, ihrem Vorbild, handelt es sich um eine Straßenbrücke. Wer nicht ganz schwindelfrei ist, braucht sich also keine Sorgen zu machen und kann das Bauwerk aus gebührendem Abstand vom Zug aus bestaunen. Das geht so gut, dass es im Bordbistro sogar ein Bier gibt, dessen Etikett die Silhouette der Hängebrücke ziert.

Bistrobegegnungen

Niemand käme in Schweden, Norwegen oder Finnland auf die Idee, einen Nachtzug ohne Speisewagen auf die Reise zu schicken. In diesem Zug kommt ein Modell zum Einsatz, das mindestens ebenso ein Relikt aus alten Zeiten ist wie mein Schlafwagen. Eine Schwingtür führt in den Gastraum, der wirkt wie ein Western-Saloon. Auch hier viel Holz, unter der Decke kugelige Lampen, eine Jalousie hängt schief im Fenster.

Die SJ bezeichnet ihre Restaurantwagen als Bistro, und das ist auch zutreffend. Nicht nur bezahlt man wie in Nordeuropa üblich am Tresen und trägt sein Essen selbst zum Tisch, man muss es auch selbst zubereiten, sprich in die Mikrowelle stellen. Die Anleitung dazu ist gleich mit auf die Verpackung aufgedruckt. Immerhin: Die Illusion, dass hier noch richtig gekocht wird, kommt so gar nicht erst auf.

Dafür schmeckt es gut. Mein Standardgericht, Nudeln mit Tomatensauce und Pesto, enttäuscht auch an diesem Abend nicht, und über den Preis von umgerechnet 8 Euro kann man ebenfalls nicht meckern.

Blick aus dem Fenster im Bistro

Dann passiert eine dieser Geschichten, die so wohl nur der Nachtzug schreibt. Vor einigen Wochen war ich in Schottland unterwegs. Am Bahnhof Corrour sehe ich dem Caledonian Sleeper bei seiner abendlichen Abfahrt zu, als mir jemand an der Tür zuwinkt. Ein Interrailer aus den Niederlanden, der meine Posts auf Social Media verfolgt hat und mich erkennt. Wir können drei Worte wechseln, dann fährt der Zug ab.

Dann passiert eine dieser Geschichten, die nur der Nachtzug schreibt

Genau dieser jemand steht nun in einem Bordbistro in Schweden wieder neben mir und tippt mir auf die Schulter. Rein zufällig, wie wir uns versichern, und viele tausend Schienenkilometer später haben sich unsere Wege wieder gekreuzt. Nachtzüge verbinden.

Wir reden über Eisenbahnen, das Reisen und den ganzen Rest, ehe das Bistro um 23 Uhr seine Türen schließt. Währenddessen taucht die Abendsonne die Hügel und Wiesen um uns herum in das goldene Licht, das so magisch nur im Sommer in Skandinavien leuchtet.

Rangieren in Sundsvall

Im Schlafwagen stehe ich im Gang noch eine Zeit am offenen Fenster und halte meine Nase in die Sommernacht. In einem großen Bogen rauschen wir nach Sundsvall hinein. Die Stadt hat eine besondere Bedeutung für diesen Nachtzug, denn der längere Aufenthalt wird dazu genutzt, den Zugteil nach Stockholm von unserem Zugteil nach Göteborg zu trennen. Er wird seine Fahrt auf einer anderen Strecke fortsetzen.

Dafür nehmen wir Schlaf- und Liegewagen aus Duved und Åre in der Region Jämtland auf, ebenso wie der Stockholmer Zugteil. Durch dieses Hin- und Herrangieren von Wagengruppen lassen sich vier Verbindungen realisieren, während zu jedem Zeitpunkt nur zwei Züge unterwegs sind.

Am Bahnhof Sundsvall

Es ist nach Mitternacht, als der Zug sich wieder in Bewegung setzt. Mit dem Abteilgenossen vom unteren Bett einige ich mich darauf, dass jetzt Schlafenszeit ist, während der andere noch nebenan feiert. Irgendwann kommt auch er zurück und klettert in das immer etwas undankbare Mittelbett. Da schlummere ich schon auf der bequemen und ausreichend langen Matratze. Auf verschlungenen Pfaden geht es nun durch die Nacht, der nächste Halt ist erst morgens um halb sechs in Örebro.

Aufwachen am See

Als ich wach werde, sind wir auf das letzte Stück der Hauptstrecke von Stockholm nach Göteborg eingebogen. Ich kenne diesen Teil schon, es ist ein toller Abschnitt, auf dem sich die Strecke durch eine Reihe von Seen und aufgestauten Flussläufen hindurchschlängelt.

Wieder stehe ich am offenen Fenster. Ein toller Morgen, der Himmel strahlt blau, ebenso wie das Wasser, an dem sich der Schienenstrang immer wieder unmittelbar entlangzieht. Wir legen uns in die Kurven, mein Haar flattert im Wind. Kurzum: Es ist einer dieser Glücksmomente, die zu jeder guten Nachtzugfahrt dazugehören.

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Bleibt noch eins: die Dusche. Diese gehört nicht zur Originalausstattung des Schlafwagens, sondern wurde in den 1990ern bei einer Modernisierung nachträglich eingebaut. Ein Abteil am Wagenende musste dafür weichen. Die Tür zur Dusche öffnet mir eine Schlüsselkarte, die sich in einer Halterung im Abteil befindet. Im Vorraum gibt es ein Regal mit flauschig weichen Handtüchern, an dem man sich bedienen darf. Das Wasser ist angenehm warm und der Wasserdruck ausreichend.

Ob das Duschen im Nachtzug wirklich nötig ist, darüber lässt sich trefflich streiten. In diesem Schlafwagen ist es auf jeden Fall elegant gelöst und – dank des geräumigen Vorraums – auch ohne gymnastische Verrenkungen beim Aus- und Anziehen möglich.

Ob das Duschen im Nachtzug nötig ist, darüber lässt sich streiten
Dusche im Schlafwagen

Erfrischt und bereit für den Tag erlebe ich, wie wir über die weiträumigen Gleisanlagen in den Hauptbahnhof von Göteborg einfahren. Pünktlich um 8.15 Uhr kommen wir an Gleis 4 zum Stehen.

Auf dem Bahnsteig verabschiede ich mich noch von meiner Bistro-Bekanntschaft und frage mich, in welchem Nachtzug wir uns wohl das nächste Mal treffen werden. Dann tauche ich ein in das Gewusel und mache mich auf die Suche nach einem Frühstück, denn das ist bei einer Nachtzugfahrt in der 2. Klasse nicht mit dabei. Ansonsten hat es mir in meinem Retro-Schlafwagen an nichts gefehlt.

Nachtzug mit offener Tür in Göteborg
Blick auf den Bahnsteig in Göteborg

Fazit: Bequem mit dem Nachtzug durch Schweden

Schweden hat ein gut ausgebautes Nachtzugnetz, und die mitunter großen Distanzen lassen sich hervorragend im Schlaf überbrücken. Das gilt nicht nur für den „Star-Nachtzug“ von Stockholm nach Narvik, sondern auch für die touristisch weniger bekannten Verbindungen wie den hier getesteten Nachtzug der SJ von Umeå nach Göteborg.

Das Wagenmaterial mag zwar schon ein paar Jahre oder Jahrzehnte auf dem Buckel haben, aber an Komfort mangelt es deswegen keineswegs. Auch das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Gerade mit Interrail lässt sich in Europa kaum so günstig und entspannt mit dem Nachtzug reisen. Die traumhafte Landschaft, die einem am Abend oder nach dem Aufwachen vor dem Fenster erwartet, ist dann das i-Tüpfelchen.


Fragen und Antworten

Auf welchen Strecken fahren Nachtzüge der SJ?

Die hier beschriebenen Nachtzüge der schwedischen Staatsbahn SJ verkehren auf folgenden Linien:

  • Malmö – Stockholm
  • Stockholm – Åre – Duved
  • Stockholm – Umeå
  • Stockholm – Luleå
  • Göteborg – Åre – Duved
  • Göteborg – Umeå

Außerdem betreibt die SJ noch den SJ EuroNight von Stockholm nach Hamburg und Berlin. Dieser wird jedoch im Auftrag von einem deutschen Unternehmen mit anderem Wagenmaterial gefahren.

Wie ist der Komfort an Bord?

In praktisch allen Nachtzügen der SJ gibt es Sitzwagen, Liegewagen, Schlafwagen sowie ein Bistro. In den Liegewagen gibt es Abteile mit sechs Betten. Bei den Schlafwagen wird zwischen 2. Klasse und 1. Klasse unterschieden. In der 2. Klasse haben die Abteile drei Betten und kein eigenes Bad. In der 1. Klasse gibt es dagegen 2-Bett-Abteile, die alle über ein eigenes Bad mit Dusche und WC verfügen.

Gibt es Frühstück im Nachtzug?

Frühstück ist nur für Gäste in den Schlafwagen der 1. Klasse im Fahrpreis enthalten. Serviert wird es entweder im Bistro oder, sofern kein Bistro am Zug ist oder die Ankunftszeit außerhalb der Öffnungszeiten des Bistros liegt, in mit der SJ kooperierenden Hotels am Zielbahnhof.

Wo gibt es Tickets?

Tickets für die Nachtzüge der SJ lassen sich bequem online auf sj.se buchen. Auch die Reservierung eines Platzes im Liege- oder Schlafwagen für Reisende mit Interrail ist online möglich. Dazu muss „Interrail oder Eurail“ als Ermäßigungskarte bei den Informationen zum Reisenden angegeben werden.

Gibt es weitere Nachtzüge in Schweden?

Neben den Nachtzügen der SJ betreibt auch die norwegische Bahn Vy Nachtzüge in Schweden. Diese sind auf den Linien von Stockholm nach Narvik und von Stockholm nach Luleå unterwegs. Saisonal verkehrt außerdem der private Snälltåget zwischen Stockholm und Berlin sowie zwischen Malmö und Åre.


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