Geht das Sterben der Nachtzüge wieder los? Wenn ich mir die aktuellen Nachrichten so anschaue, fühle ich mich jedenfalls an die düsteren Zeiten um 2016 erinnert. Damals stieg nicht nur die Deutsche Bahn aus dem Nachtzugverkehr aus, sondern auch in vielen anderen Ländern Europas wurden Nachtzüge gestrichen.
Einige Entwicklungen der letzten Wochen:
Wenn es um neue Linien für den Nightjet geht, ist Branchenprimus ÖBB auf einmal zurückhaltend. Alle Ausbaupläne liegen auf Eis, ließ Fernverkehrschef Kurt Bauer in einem Interview durchblicken. Die neuen Züge sollen stattdessen genutzt werden, um die Kapazität auf bestehenden Strecken auszubauen.
Die Schwedische Bahn koppelt Göteborg vom Nachtzugnetz ab. Trotz guter Auslastung lasse sich auf den Strecken von Schwedens zweitgrößter Stadt nicht genug Profit erwirtschaften. Gestern wurden dem zuständigen Minister 78.000 Unterschriften gegen die Einstellung übergeben, doch der Entschluss der SJ scheint unumstößlich. Inzwischen sind auch die Nachtzüge von Stockholm nach Jämtland bedroht.
European Sleeper droht, die gerade erst eingeführte Nachtzugverbindung von Brüssel über Dresden nach Prag wieder einzustellen. Grund dafür ist „mangelnde Koordination zwischen Deutschland und den Nachbarländern“.
In der Slowakei wird einer der beiden Nachtzüge von Bratislava nach Košice eingestellt, betroffen ist auch ein Kurswagen aus Prag. Außerdem wird die slowakische Bahn ZSSK den Sommer-Nachtzug von Bratislava über Wien nach Split voraussichtlich 2025 nicht mehr anbieten.
Und die DB? Will von Nachtzügen weiter nichts von wissen. Über allem schwebt außerdem die große Frage, woher das Rollmaterial kommen soll, das es für ein echtes, europaweites Nachtzugnetz braucht. Nein, man kann dieser Tage wirklich schlechte Laune bekommen, wenn man es mit dem Nachtzug hält. Dabei ist die Nachfrage ungebrochen hoch: Viele Verbindungen sind weiterhin lange im Voraus ausgebucht. Und ausgerechnet der ADAC stellte in einer aktuellen Studie fest, dass 42 Prozent der Deutschen sich grundsätzlich vorstellen können, mit einem Nachtzug in den Urlaub zu fahren.
Woran liegt es dann, dass Eisenbahnen kaum Interesse an Nachtzügen haben? Wie so oft bei komplizierten Fragen gibt es keine einfache oder bequeme Antwort. Aus den genannten Beispielen lassen sich jedoch drei zentrale Problemfelder ableiten.
Problem 1: Kein politischer Rückenwind. Die Politik ist gern dabei, wenn mit großem Tamtam eine neue Nachtzuglinie eröffnet wird. Doch sobald es darum geht, die Schatulle zu öffnen, schwindet das Engagement. Und ja, machen wir uns nichts vor: Ohne staatliche Unterstützung wird es nicht gehen. Warum auch nicht? Alles Mögliche wird subventioniert, von der Schnellstraße zum Regionalflughafen. In der Schweiz etwa fließen über 5 Milliarden Franken in den Autobahnausbau, aber 30 Millionen für den Nachtzug sollen zu viel sein? Auch beim Abbau bürokratischer Hürden und weiterer Benachteiligungen gegenüber anderen Verkehrsträgern geht es kaum voran.
Problem 2: Eisenbahnen auf Abwegen. Staatsbahnen sind heute meist als Aktiengesellschaften organisiert, die nicht nur insgesamt, sondern auch auf einzelne Strecken bezogen Profit erwirtschaften sollen. Für Nachtzüge ist das schwer bis unmöglich. Denkt man Eisenbahn dagegen als Netzwerk, können sie sehr wohl integraler Bestandteil eines Systems sein, das dem Gemeinwohl dient. Privatunternehmen wie European Sleeper und Snälltåget können dabei ergänzende Rollen einnehmen und einzelne Nischen innerhalb der Nische Nachtzug besetzen. Um jedoch ein verlässliches Netz in Europa aufzubauen, fehlt es ihnen an finanzieller Kraft und langem Atem.
Problem 3: Flickenteppich Europa. Eisenbahnen sind nicht nur zum Gewinnerzielen verdammt, sondern betrachten sich auch zunehmend als Konkurrenten. Europa entwickelt sich immer mehr zu einem Flickenteppich aus Bahnunternehmen, die sich voneinander abschotten. Dabei brauchen Nachtzüge, die im deutschsprachigen Raum fast immer über Grenzen führen, vor allem eines: Kooperation. Dazu kommen bürokratische und regulatorische Hürden im grenzüberschreitenden Verkehr, womit wir wieder bei Punkt 1 wären.
Oder, um es in einem Satz zu sagen: Während der Hype um die Nachtzüge befeuert wurde, gab es praktisch keine Fortschritte bei den Hemmnissen. Das rächt sich nun.
Besonders besorgt mich, dass Europas Bahnen nicht mehr an einem Strang ziehen. Das führt zu teils absurden Situationen: Weil die Italiener die neuen Züge der ÖBB nicht auf ihre Direttissima lassen, kommt der Nightjet nun erst kurz vor Mittag in Rom an. Zwischen Hamburg und Stockholm fahren zwei Nachtzüge im Stundenabstand hintereinander her, anstatt dass wenigstens einer den Anschluss zu den Fähren nach Finnland ermöglicht. Und so weiter. Hier wird viel Potenzial verschenkt, und Synergieeffekte bleiben ungenutzt.
Konkurrenz belebt das Geschäft, heißt es. Doch bei einem so komplexen System wie dem Nachtzug könnte das Gegenteil der Fall sein. Ohne Zusammenarbeit und eine große europäische Bewegung ist der Traum von mehr Nachtzügen schneller aus, als uns lieb sein kann.
Pyjamaparty für den Nachtzug
Nicht damit abfinden, dass der Nachtzugausbau ins Stocken gerät, möchten sich die Mitglieder des Netzwerks Back-on-Track. Unter dem Motto Trans Europe Pyjama Party planen sie am Freitag, den 25. Oktober, einen europaweiten Flashmob für mehr Nachtzüge. Bereits geplant sind Aktionen in Kopenhagen, Hamburg, Berlin, Zürich, London, Barcelona und Lissabon.
Wenn ihr teilnehmen möchtet oder ein eigenes Event an eurem Bahnhof organisieren wollt, könnt ihr euch hier anmelden.
Positiv bleiben
Auch wenn der Blick in die Zukunft gerade nicht rosig ist, möchte ich den Fokus auf das Positive nicht verlieren. An vielen Orten in Europa funktioniert der Nachtzugverkehr noch richtig gut! Hier sind fünf Nachtzüge, mit denen ihr nicht nur bequem, sondern auch besonders preiswert durch Europa reisen könnt.
Und hier kommen drei Texte aus der Zugpost über meine schönsten Nachtzugfahrten der letzten Zeit – zum Nachahmen oder einfach zum virtuellen Mitreisen vom Sofa aus:
Eine gute Nachricht habe ich zudem für alle unter euch, die regelmäßig mit der Deutschen Bahn unterwegs sind: Die BahnCard 50 gibt es aktuell zum halben Preis. Mehr dazu und weitere Neuigkeiten aus der Welt des Zugreisens findet ihr in der Kurzstrecke.
Habt eine schöne Restwoche!
– Sebastian
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